Als die Dämonen lachten
(Japan)
In vergangenen Zeiten lebte einmal irgendwo ein sehr reicher Mann. Dessen allerliebste, einzige Tochter sollte in ein Dorf in weiter Ferne heiraten. Als nun der Tag der Hochzeit anbrach, kamen vom Haus des Bräutigams prunkvolle Sänften, um sie abzuholen: so gaben ihr nicht nur die Mutter sondern auch die Verwandten in zahlreichen Sänften das Geleit; und unter den neckenden Rufen "Junge Frau! Junge Frau!" überschritten sie Bergrücken und Gebirgspässe. Da senkte sich plötzlich vom Himmel eine tiefschwarze Wolke herab und verhüllte die Sänfte der Braut. Während alle noch riefen: "Was ist los? Was sollen wir tun?", entführte die schwarze Wolke die Braut mit ihrer Sänfte in die Lüfte.
Als die Mutter sich nun ihrer geliebten Tochter beraubt sah, machte sie sich Sorgen, bis sie nahe daran war, den Verstand zu verlieren, und sprach: "Nie und nimmer werde ich aufhören, nach meiner Tochter zu suchen!" Sie packte sich gekochten Reis auf den Rücken und durchstreifte suchend das Gebirge ohne einen Hinweis, der ihr gesagt hätte, wohin. Bei dieser Suche über Felder und Berge hinweg neigte sich der Tag dem Ende zu. Da erhob sich ihr gerade gegenüber ein kleiner Tempel. Dorthinein ging sie und sprach: " Wenn er auch äußerst armselig ist, so ist es doch vielleicht möglich, für diese Nacht ein Obdach zu erhalten!" Da trat von drinnen eine Nonne heraus und erklärte: "Es gibt hier zwar weder wärmende Kleider noch Essen, aber übernachten könnt ihr jedenfalls." Die Mutter ging also in den Tempel hinein, und weil sie müde war, legte sie sich sofort nieder. Da zog die Nonne ihr eigenes Gewand aus und hieß sie es überziehen. Nachdem die es angezogen hatte, sprach die Nonne folgendermaßen: "Eure Tochter, die ihr sucht, wurde in das Haus eines Dämons jenseits des Flusses entführt. Da aber am Fluss ein Riesenhund und ein Geisterhund Wache halten, ist es unmöglich, dorthin zu gehen. Sei es nun auch so, wenn sie einmal ein Mittagsschläfchen halten sollten und ihr diese günstige Gelegenheit wahrnehmt und versucht hinüber zu gehen, so dürftet ihr vielleicht hinüber kommen. Doch da ist eine Brücke, die man die Soroban-(Kugel)-Brücke nennt; ihr sind Kugeln in großer Zahl eingebaut, also müsst ihr sie so überqueren, dass ihr nicht auf die Kugeln tretet. Wenn ihr stets daran denkt, nicht auf die Kugeln zu betreten, könnt ihr sicher sein, wieder in euer Heimatdorf zurückzukehren.
Am nächsten Morgen wurde die Mutter von einem raschelnden Geräusch aufgeschreckt und öffnete die Augen. Da waren um sie herum nichts als Schilffelder, und da der Tempel fehlte, war natürlich auch die Nonne nirgends zu sehen. Nur die Schilfgräser rauschten traurig im Morgenwind; die Mutter aber hatte einen von Regen und Wind gebleichten Grabstein zum Kopfkissen genommen und darauf geschlafen. "Frau Nonne, ich danke euch!" rief sie und erstattete so ihren Dank. Als sie nun auf dem ihr gewiesenen Weg in die Nähe des Flusses kam, hielten der Riesenhund und der Geisterhund wirklich gerade ein Schläfchen; so überquerte sie bei dieser Gelegenheit mit aller Vorsicht, um nicht auf die Kugeln der Sorobanbrücke zu treten, den Fluss. Nachdem sie mit vieler Mühe den Fluss überschritten hatte und vorwärts eilte, ertönte das vertraute Geräusch eines Webstuhles: Chan-chan-chan-karin! Unwillkürlich rief die Mutter: "Töchterchen!" Da erschien die Tochter, und beide liefen aufeinander zu und umarmten sich und freuten sich.
Nach einer Weile setzte die Tochter der Mutter in großer Eile den Abendreis vor und sprach: "Wenn du von dem Dämon gefunden würdest, gäbe es ein großes Unglück!" Und dann verbarg sie die Mutter in einer Steinkiste. Bald darauf kehrte der Dämon zurück. "Ich rieche doch ein menschliches Wesen!" rief er und schnüffelte dabei mit seiner Nase herum. Das Mädchen aber entgegnete, dass es das nicht begreife, und erklärte, wenn es aber so sei, solle er doch einfach im Garten die Blumen anschauen gehen. Im Garten nämlich gab es wundersame Blumen: so viele menschliche Wesen im Haus waren, so viele erblühten. Da sich nun an diesem Tag drei geöffnet hatten, kam der Dämon ungeheuer zornig zurück. "Wo hast den Menschen verborgen?" schrie er und wollte es jetzt sogar packen. Unablässig überlegte das Mädchen, was es tun solle, und plötzlich kam ihm ein Gedanke. "Ich bin schwanger, deshalb sind es drei Blüten!" sprach es. Da freute sich der erzürnte Dämon so, dass er sich fast auf den Kopf stellte. Im Übermaß seiner Freude brüllte er laut und rief seine Diener zusammen: "Ihr Diener auf! Brigt Sake! Bringt Trommeln! Und die Wachen am Fluss prügelt zu Tode!" So schrie er und sprang umher. Auch seine Diener freuten sich, und mit den Rufen "Wein! Trommeln! Prügelt diesen Riesenhund und den Geisterhund zu Tode!" begannen sie ein großes Gelage.
Bald waren die Dämonen vom Sake schwer betrunken und fielen in Schlaf. Der Oberdämon aber sprach: "Frau, wenn ich eingeschlafen bin, dann lege mich in die Holzkiste!" Erleichtert atmete das Mädchen auf, dass er sich die Holzkiste gewählt hatte. Nach einer Weile legte es den Dämon in diese hinein und schloss ihre sieben Deckel mit sieben Schlüsseln zu. Dann holte es eilig seine Mutter aus der Steinkiste, und beide flohen aus dem Haus des Dämons. Da der Riesenhund und der Geisterhund getötet worden waren und sie auch sonst niemand entdeckte, gingen sie zu dem Schuppen, wo Fahrzeuge aufbewahrt wurden. Während sie aber noch beratschlagen: "Ist der 10000-Meilen-Wagen oder der 1000-Meilen-Wagen besser?", erschien die Nonne und sprach: "Weder der 10000-Meilen-Wagen noch der 1000-Meilen-Wagen ist von Nutzen! Flieht schnell mit dem Schiff!" Also bestiegen Mutter und Tochter das Schiff und flohen, so schnell sie konnten, den Fluss hinab.
Als dem Dämon, der in der Holzkiste schlief, die Kehle trocken wurde und er, wie oft er auch "Frau, bring mir Wasser!" brüllte, keine Antwort bekam, brach er gewaltsam die sieben Deckel auf, kam heraus und schaute, aber seine Frau war nicht da. Wo er auch suchte – sie war spurlos verschwunden. "Dieser Balg bildet sich ein, entfliehen zu können!" schrie er und weckte seine Diener auf. Als sie dann zum Fahrzeugschuppen gingen und nachschauten, war das Schiff nicht mehr da. Deshalb gingen alle zum Fluss und suchten dort. Das Schiff von Mutter und Tochter aber war schon in weite Ferne entschwunden. Da befahl der Dämon seinen Dienern: "Sauft das Wasser des Flusses bis zur Neige aus!" Die Scharen von Dämonen gehorchten sofort. Sie steckten ihren Kopf in den Fluss und schlürfend begannen sie das Wasser zu saufen. Dabei saugten sie das Wasser an, und mit diesem kam auch das Schiff von Mutter und Tochter allmählich zurück. Da sie jeden Augenblick in Reichweite des Dämons kommen mussten, schickten sie sich bereits darein, dass es keine Rettung mehr gebe, als ihnen wiederum die Nonne erschien und sprach: "Unverzüglich! Zeigt schnell euer Geheimstes den Dämonen!" Da hoben sie – zusammen mit der Nonne – zu dritt den Saum ihrer Gewänder. Als die Dämonen dies sahen, lachten sie dröhnend und lachten immer mehr und wälzten sich am Boden und lachten und spien dabei das Wasser, welches sie getrunken hatten, alles wieder aus. Da fuhr das Schiff wieder in die Ferne und Mutter und Tochter konnten ihr bedrohtes Leben retten.
Da sie dies allein der Nonne verdankten, sprachen sie ihr herzlich ihren Dank aus. Die Nonne aber entgegnete: "Da ich nur ein Grabstein inmitten von Feldern bin, legt bitte jedes Jahr einen Grabstein mehr neben mich. Darüber freue ich mich am meisten!" Dann verschwand sie. Mutter und Tochter konnten sicher nach Hause zurückkehren und vergaßen von da an niemals die Wohltat der Nonne: Jedes Jahr stellten sie einen weiteren Grabstein auf.

Das Jizo-Paradies
(Japan)
Vor langer, langer Zeit, irgendwo, lebten ein alter Mann und eine alte Frau. Als sie eines Morgens aufstanden und die Frau das Haus und der Mann die Tenne fegte, war eine einzelne Bohne hinunter gefallen. "Mütterchen! Mütterchen! Ich habe ein Böhnchen gefunden! Sollen wir es auf dem Feld aussäen und so verstausendfachen oder sollen wir es mit dem Mörser zerstoßen und zu Bohnenmehl verarbeiten?" So sprach er; während sich die beiden aber noch berieten, sprang die Bohne mit einem Hopser dem Alten aus den Fingern, rollte kullernd immer weiter fort und fiel dann in ein Mauseloch in der Ecke der Tenne. "Nein, so etwas! Nun habe ich die Bohne, welche ich eigens aufgehoben hatte, verloren! Mütterchen! Mütterchen! Schnell, bringe mir doch einen Holzspan!" rief er, und während die alte Frau mit dem Holzspan, den sie vom Brennholz an der Feuerstelle geholt hatte, diese Mauseloch aufgrub, stieg der Mann immer tiefer hinein.
"Habt ihr nicht die Bohne bemerkt, die Väterchen fort gerollt ist? Habt ihr nicht die Bohne gesehen, die Väterchen fort gerollt ist?" So singend stieg er hinein, worauf er am Wegesrand auf einen steinernen Jizo traf. "Ach verzeiht, Herr Jizo, habt ihr nicht die Bohne gesehen, die mir fortgerollt ist?" fragte er. Da antwortete der Jizo: "Gewiss habe ich sie gesehen; ich selbst habe sie aufgehoben, geröstet und gegessen!" – "Nun , dann ist es gut! Dann gehe ich wieder Nach Hause!" sprach der Alte und wollte gerade umkehren, als der Jizo Mitleid mit ihm fühlte und rief: "Väterchen! Väterchen! Warte ein wenig, ich will dich dafür entschädigen!" – "wenn es so ist, Herr Jizo, was habt ihr mir zu sagen?" fragte jener. "Hör zu: "Wenn du jetzt noch tiefer hinein gehst, steht da ein Haus mit einer roten Schiebetür; dort sind die Mäuse ganz und gar mit Vorbereitungen für eine Hochzeit beschäftigt, biete daher deine Hilfe beim Stampfen mit dem Mörser an, wenn du hingelangst. Gehst du dann noch tiefer hinein und kommst zu einem Haus, das mit einer schwarzen Schiebetür versehen ist, so werden die Dämonen dort alle mit Glücksspielen beschäftigt sein; ahme deshalb den Hahnenschrei nach, wenn du dort bist, und nimm ihnen dann ihr Geld weg!" So belehrte er ihn.
"Gut, habt Dank!" erwiderte der alte Mann dem Jizo und ging tiefer hinein; wie der Jizo gesagt hatte, kam er da zu einem Haus mit einer roten Schiebetür. "He, ist jemand zu Hause?" rief er deshalb und wollte eintreten, worauf von drinnen die Mäusebraut heraus kam, "Väterchen, was führt euch her? Fragte sie. "Da ihr bei den Vorbereitungen zu eurer Hochzeit seid, bin ich gekommen, um beim Stampfen mit dem Mörser zu helfen!" antwortete der Alte. "Nein, so etwas! Ihr seid zu guter Zeit gekommen! Schnell, kommt herein und helft!" Mit diesen Worten führte sie den Mann ins Haus. Als der Alte eintrat und um sich blickte, war das Haus wunderschön: im ersten Zimmer gab es außer zinnoberroten Esstischchen und zinnoberroten Holzschalen ein bronzenes Holzkohlenbecken. Im zweiten Zimmer waren eine große Anzahl kurzärmliger Gewänder aus Seide aufgehängt. Als er aber in das dritte Zimmer kam und sich umsah, schüttete gerade eine große Schar Mäuse Gold in einen Mörser; jakuri! Jakuri! Stampften sie es und sangen dabei:
Heißa! Heißa!
Die Stimme, welche miaut,
wir wollen sie nicht hören!
Als nun der alte Mann zu ihnen trat und beim Stampfen mit dem Mörser half, freuten sich die Mäuse gar sehr und schenkten ihm eine Menge herrlicher, kurzärmliger Gewänder aus Seide. Darauf wanderte er mit den rotseidenen Kleidern, welche er von den Mäusen erhalten hatte, geradewegs weiter in die Tiefe und gelangte so zu einem Haus mit einer schwarzen Schiebetür. Eine Unzahl Dämonen befand sich darin, und sie patschten und klatschten mit ihren Spielkarten. Damit sie ihn nicht bemerkten, stieg nun der Mann auf den Tragbalken des Pferdestalles, und als es auf Mitternacht ging, schlug er auf eine Getreideschwinge gleich einem Flügelschlag und täuschte dabei den Morgenschrei eines Hahnes vor: "Kekeroo! – "Das ist erst das erste Mal!" sagten die Dämonen; da schlug der Alte, nachdem eine kleine Weile verstrichen war, wieder gleich einem Flügelschlag auf die Schwinge und rief: "Kekeroo-ya-e!" Das ist erst das zweite Mal!" sagten die Dämonen. Als aber wieder kurze Zeit vergangen war, der Mann gleich einem Flügelschlag auf die Schwinge schlug und dabei rief: "Kekeroo! Kekeroo!", da erschraken die Dämonen und schrien: "Nun ist es das dritte Mal, die Nacht ist um!"; sie ließen ihr Geld liegen, wo sie es eben hingestreut hatten, und liefen, einer dem andern nachdrängend, davon.
Gemächlich stieg der Alte darauf von dem Tragbalken des Pferdestalles herab, nahm das ganze Geld an sich und kehrte heim. Er und auch seine Frau zogen nun die verschlissenen Kleider aus, welche sie bis jetzt getragen hatten, legten die Seidengewänder an, welche er von den Mäusen bekommen hatte, klimperten mit dem Geld und füllten es dann voller Freude in Scheffel und maßen es aus.
Da kam eine alte Frau aus ihrer Nachbarschaft dazu und sprach: "Wie geht es euch? Könntet ihr mir vielleicht von eurem Feuer abgeben?" Dann aber forschte sie: "Was ist das! Wie seid ihr zu solch erfreulichem Wohlstand gekommen? Und nachdem die beiden Alten erzählt hatten, wie sie zu den rotseidenen Kleidern und zu der Menge Geldes gekommen waren, zeigten sie: "Schau mal, dies hier und das!"
"So viele Dinge! Wirklich eine beneidenswerte Geschichte ist das! Deshalb werde auch ich schnell nach Hause zurückkehren und meinen Mann dorthin schicken!" erwiderte die Alte aus der Nachbarschaft und lief in größter Eile heim. Nun fegte die Frau das Haus und ihr Mann fegte die Tenne, genau wie es das alte Ehepaar aus der Nachbarschaft gemacht hatte; doch es wollte sich um alles in der Welt keine Bohne finden. Deshalb rief der Mann mit lauter Stimme: "Frau, Frau, bring mir schnell aus dem Sack dort eine Bohne!", stopfte die Bohne, welche ihm seine Frau brachte, in ein Mauseloch, grub darauf mit einem Holzspan die Erde auf und stieg hinein. Wie der alte Mann aus der Nachbarschaft gesagt hatte, saß da am Wegesrand ein Jizo aus Stein. Ihn fragte er: "Ist hierher nicht eine Bohne gerollt gekommen?", worauf der Jizo antwortete: "Ja, das ist sie, aber ich habe sie aufgehoben und verspeist!" Da schalt der Alte: "Was soll das heißen, du Gauner von einem Jizo, andrer Leute Bohnen aufzuheben und zu essen und einen zum Narren zu halten! Als Entschädigung verschaffe mir nun kurzärmlige Seidengewänder und Geld!" Der Jizo machte ein verdrießliches Gesicht, belehrte ihn aber, wie er den alten Mann aus der Nachbarschaft belehrt hatte. Während der Alte
"Meine Bohne – wer sie gestohlen hat,
für meine Bohne leiste er mir Ersatz!"
singend ein Weilchen weiter ging, stand wahrhaftig eine rote Tür vor ihm. Dahinter sangen die Mäuse:
"Heißassa!
Die Stimme, welche miaut,
wir wollen sie nicht hören!"
Dabei stampften sie !jakuri! jakuri!" in ihrem Mörser das Gold. Als der Alte hineinguckte, lagen drinnen, wie bei dem Mann aus der Nachbarschaft, scharlachrote Kleider, zinnoberrote Esstischchen mit zinnoberroten Schalen und Gold in großer Menge. Da wurde der alte Mann von der Gier danach gepackt und dachte sich, wenn er den Schrei der Katze nachahme, könne er sich diese Schätze alle aneignen; also rief er mit lauter Stimme: "Nyago! Nyagotsu!" Darauf wurde das Haus der Mäuse, bis jetzt hell erleuchtet, so als hätte jemand plötzlich die Lichter verlöscht, stockdunkel und alles war verschwunden. Während er sich überlegte, was eigentlich los war, kroch der Alte im Finstern weiter. Und er stieß bald auf die schwarze Tür, und weil patschende und klatschende Geräusche heraustönten, dachte er sich "Was kann das sein?" und lugte hinein; da hatten sich die Dämonen zusammengefunden und spielten Glücksspiele. Nun besann sich der Alte auf das, was er vom Jizo gehört hatte, und damit er von Dämonen nicht bemerkt würde, kletterte er auf den Tragbalken des Pferdestalles und verbarg sich dort. Um Mitternacht dann schlug er gleich einem Flügelschlag auf die Getreideschwinge und schrie mit lauter Stimme: "Ha! Der erste Hahn!"
Da verwunderten sich die Dämonen, fragten sich: "Was ist das?" und machten erstaunte Gesichter. Nun schrie der Alte wiederum mit lauter Stimme: "Ha! Der zweite Hahn!"
Da riefen die Dämonen wiederum" "Was ist das?" und wurden unruhig, worauf der Alte sie diesmal in Schrecken zu versetzen und zu vertreiben gedachte und noch einmal mit lauter Stimme schrie: "Der dritte Hahn!"
Da aber riefen die Dämonen: "Was, diese Stimme ist doch die von dem falschen Hahn von gestern Nacht; der uns unser Geld weg genommen hat, er ist auch heute wieder gekommen. Lasst uns ihn einfangen!", und sie stiegen auf den Balken im Pferdestall.
Als die Dämonen aber Hals über Kopf hinauf kletterten, verhängte sich einer mit dem Nasenloch an einem Haken und blieb daran baumeln. Der Alte sah dies und brach un schallendes Gelächter aus, so dass die Dämonen riefen: "Diesen Alten, lasst ihn nicht entkommen!", sich in großer Zahl auf ihn stürzten und schrien: "Er hat gestern unser Geld gestohlen!" Und sie prügelten ihn windelweich. Am ganzen Körper voller Wunden, von rotem Blut überströmt und besudelt kroch der Alte, Oi! Oi! Jammernd, schließlich zurück. Die alte Frau aber vernahm das Wehklagen ihres Mannes und sprach zu sich: "Ah, ah, dies ist doch mein Mann; er hat ein rotes, kurzärmliges Kleid aus Seide angelegt und kommt nun singend daher." Sie zog die Lumpen aus, die sie trug, warf sie ins Feuer und erwartete ihn gänzlich nackt. Der Alte aber kam voller Mühe aus dem Loch heraus gekrochen und jammerte: "Oi! Oi! So war am Ende der böse alte Mann blutüberströmt, und die böse alte Frau hatte ihre Kleider verbrannt.

Der Affenedelmann
(Japan)
Ein Edelmann im Osten hatte ein wohl bestelltes Haus. Ein Edelmann im Westen, ein bejahrter, alter Mann, der mit seiner Frau ganz allein lebte, war ein armer Mensch, der weder Kinder noch Geld besaß. Einmal, im zwölften Monat, am letzte Abend des Jahres, neunundzwanzigsten Tag, fragte nun der alte Mann aus dem Westen seine Frau, ob sie nicht zu dem Haus des Edelmannes im Osten gehen, Reis und Bohnemus borgen um das Jahresende festlich begehen sollten. Doch seine Frau entgegnete: "Wenn wir im Hause des Edelmannes im Osten etwas borgen wollten, würden wir durch unsere Bitten nur Nachteile haben. Lass uns doch aus Hirsekörnern einen Brei kochen und damit das Jahresende feiern!" Nun stieg aber die Sonnengottheit herab, um in die Herzen der Menschen zu blicken.
Die Gottheit nahm die Gestalt eines armen, um Essen bettelnden Priesters an, ging zuerst zu dem Haus des Edelmannes im Osten und sprach: "Ich habe wirklich keine Bleibe, keinen Ort, wohin ich gehen könnte, deshalb gewährt mir bitte ein Obdach!" Da schalt der Edelmann im Oste: "Wisst ihr nicht, dass es der letzte Abend des Jahres, der neunundzwanzigste Tag des zwölften Monats ist? Für euer Gejammer sollte man euch die Knochen brechen lassen, und wies ihn fort. "Schon gut dann!" sprach da der Bettelpriester und ging diesmal zu dem Haus der beiden Alten im Westen. "Väterchen! Mütterchen! Ich bin ein Bettelpriester; heute, am letzten Abend des Jahres, gebt mir bitte ein Obdach!" – "Freilich, freilich! Kommt nur schnell herein! Wir haben zwar nichts zu essen, nur heißes Wasser, in das wir Hirsekörner gefreut haben, doch kommt trotzdem herein!"
Voller Freude hießen die beiden Alten den Priester willkommen. Da ordnete der Priester an, dass sie einen Topf, der ein Maß fasst, auszuwaschen, drei grüne Blätter hineinlegen, mit Wasser füllen und dann kochen lassen sollten. Als die alte Frau tat, wie ihr geheißen, füllte er sich ganz mit Fischen. Darauf befahl der Priester, den Kessel auszuwaschen. Als die Alte den Kessel gespült hatte, nahm der Priester aus seinem Beutel drei Reiskörner heraus und gebot, sie in den Kessel zu legen und sie ebenfalls zu kochen. Mit dem Kochen nun füllte sich auch der Kessel bis obenhin mit Reis. Diese Speisen verzehrten die drei und feierten ein fröhliches Jahresende.
Als die Mahlzeit beendet war, sprach der Priester: "Väterchen! Mütterchen! Ihr scheint arm und bejahrt zu sein; wünscht ihr euch Reichtümer oder wäre es euch lieber, wieder jung wie früher zu werden?" So forschte er. "Wir würden uns gern wünschen, siebzehn und achtzehn Jahre jung zu sein", antworteten sie. "Dann gießt in einen großen Zuber heißes Wasser . "So wurde ihnen befohlen und sie bereiteten das Bad; da nahm der Priester aus seinem Beutel ein Pulver von gelber Farbe und streute es in das heiße Wasser. "Väterchen! Mütterchen! Steigt nun – keiner früher oder später als der andere – ins Bad!" forderte er sie auf. Da stiegen die beiden Alten gleichzeitig hinein, worauf sie wieder zu jungen Leuten von siebzehn und achtzehn Jahren wurden. Unterdessen hatte sich die Nacht gelichtet. Wiederum sprach der Priester: "Schüttet Wasser ins Feuer und löscht es aus, Mütterchen soll vom Haus im Osten Glut holen gehen!"
Die Frau ging also zum Haus des Edelmannes im Osten, um Glut zu erbitten. Im Haus des Edelmannes im Osten nun erstaunte beim Anblick der verjüngten Gestalt der alten Frau die ganze Familie. Sie erzählte, dass am gestrigen Abend ein Bettelpriester gekommen war und sie durch ihn ihre Jugend zurückerhalten hatte, worauf der Edelmann im Osten meinte: "Ich habe töricht gehandelt; hätte er bei uns übernachtet, wären wir solcherart mit Glück beschenkt worden. Wenn ich aber jetzt irgendetwas unternehme, wird er wohl nicht in dieses Haus kommen wollen. Könntet also nicht ihr ihn bitten?" Als die Frau nach Hause zurückkehrte und berichtete, ging der Priester sogleich zu dem Haus des Edelmannes im Osten. "Nun, Edelmann im Osten, bei all euren Reichtümern fehlt euch da nicht noch etwas?" sprach er, worauf der Edelmann im Osten bat: "Gerade weil ich einiges besitze, wünsche ich noch mehr; gebt mir doch huldreich noch mehr!", so bat er. "Nun, da ihr wohl keinen Mangel an Geld habt, will ich euch so jung wie früher machen!" So sprach der Priester und ließ sie ein Bad richten, nahm aber diesmal aus seinem Beutel ein rotes Zaubermittel und schüttete es hinein. "Jetzt badet alle gleichzeitig in dem heißen Wasser!" befahl er, worauf sie gleichzeitig hinein stiegen. Da verwandelten sich der Hausherr und seine Frau in Affen. Die Kinder wurden zu Hunden, die Diener zu Katzen. Die Dienerinnen wurden zu Mäusen und noch ein Diener verwandelte sich in ein Bergschaf.
Darauf übergab der Priester dem Ehepaar im Haus im Westen das Anwesen des Edelmannes im Osten. Als es jedoch Abend wurde, tobten unaufhörlich die beiden Affen herum und fielen so lästig, dass sie sagten, sie wollten in ihr ursprüngliches Haus zurückkehren, da sie in diesem Haus hier auf keinen Fall bleiben könnten. Dort besuchte sie der Priester erneut. Sie erzählten, dass die Affen sie ernstlich belästigten, worauf der Priester ihnen riet, sie sollten zwei schwarze Steine aus dem Garten erhitzen und an dem Platz niederlegen, wohin die Affen regelmäßig kämen. Nachdem sie sie genau dort niedergelegt hatten, kamen nichts ahnend die Affen, setzten sich auf diese Steine, verbrannten sich und kamen seitdem nicht mehr.
Dass das Hinterteil der Affen rot ist, rührt daher, dass sie sich damals verbrannten. Der alte Mann und die alte Frau jedoch, die wieder jung geworden waren, zogen in ihr Haus und führen bis zum heutigen Tag ein angenehmes Leben.

Yuriwaka-Daijin
(Japan)
In alter Zeit lebten einmal irgendwo zwei Edelleute, der reiche Asahi und der reiche Manno. Asahi hatte zwölf Kinder, Manno hatte nicht ein einziges Kind, aber unermesslich viel Geld. Einmal befahl der Landesherr den beiden Edelleuten ihm ihre Kostbarkeiten zu zeigen. Da setzte Asahi seine zwölf Kinder, prächtig gekleidet und geschmückt, in einer Reihe in eine dafür errichteten Halle aus Reisig, wo sie vor den Augen aller Leute ihre Fertigkeit in mannigfaltigen Künsten zeigten. Manno stellte vor goldenen Setzschirmen, hinter silbernen, durchsichtigen Vorhängen sein vieles Geld nebeneinander aufgeschichtet zur Schau. Alles Volk aber sammelte sich nur dort, wo Asahis Kinder ihre Künste vorführten und ihre Tänze zeigten; nach Mannos Schätzen sahen die Leute erst gar nicht hin. Als der Fürst da, was ihm die beiden als ihr kostbarstes Gut gezeigt hatten, gesehen hatte, sprach er die Worte des Gedichtes:
"Fasan, du Kinderreicher,
wie sehr doch
triumphierst du über den stolzen,
einsamen Falken…"
Damit wollte er sagen, dass die Kraft und Gesundheit von Asahis Kindern allen Glanz und alle toten Schätze Mannos in den Schatten stellten. Als Manno diese Worte gehört hatte, sah er sich geschlagen und dachte bei sich: "Wie wahr ist doch das Sprichwort, das da sagt: "Kostbarer als zehntausend schatzgefüllte Speicher ist der Besitz von Kindern." Von nun an kannte Manno keinen anderen Wunsch mehr,als den, gleichfalls ein Kind zu besitzen. Tag für Tag pilgerte er, eine weiße Lilie als Gabe darbringend, zum Tempel der Kannon von Hase, um die Gottheit zu bitten, ihm ein Kind zu schenken. Endlich wurde auch sein Wunsch erfüllt, und es wurde ihm ein Sohn geboren, den er Yuriwaka-Daijin nannte. Denn Yuriwaka hatte in seiner Jugend eine Körperfarbe, weiß wie eine Lilie (yuri). Wenn sich die Ritterschaft des Landes irgendwo versammelte, dann überragte er alle an Haupteslänge und übertraf alle an Ungestüm und Kühnheit. Als er dann in die Jahre kam, wo man sich nach einer Frau für ihn umzusehen begann, da war unter den Töchtern der adligen Familien keine zu finden, die er auch nur eines Blickes wert fand. Einmal saß er am Fenster und hörte Leute auf der Straße im Vorübergehen sagen: "Da sagen die Leute immer, dass der Herr Yuriwaka kein Mädchen im Lande für würdig befände, seine Frau zu werden; doch da ist des Staatsrats Sanjo Tochter, würde er sie kennen, er nähme sie sofort. "Als er dies gehört hatte, brach er sofort auf und entführte bei Nacht Prinzessin Sanjo. Zur Strafe für diesen Raub schickte man Yuruwaka-Daijin aus, die Dämonen auf der Insel Onigashima zu vernichten. Das Schiff, auf dem er zu dieser Fahrt auszog, trug Segel aus vierhundertundacht Leinwandbahnen am Maste, achtundvierzig andere Schiffe begleiteten ihn auf diesem Zug. In der Nacht vor Yuriwaka-Daijins Ankunft hatte der junge Dämonenfürst einen Unheil verheißenden Traum und sagte zu seinem Vater, dem alten Dämonenfürsten: "Lass uns alle Vorbereitungen treffen, gerüstet zu sein." Der alte Dämon aber antwortete ihm prahlerisch, auf seine Teufelskünste vertrauend: "Was redest du da für dummes Zeug? Hat man je so etwas gehört? Wer uns auch immer bedrohen wollte und woher er auch kommen möge, er wird in uns seine Meister finden." Als dann Yuriweaka-Daijins Schiffe an Land stoßen wollte, schleuderten die Dämonen viele große und kleine Steine gegen seine Schiffe. Yuriwaka-Daijin aber stand hoch aufgerichtet am Bug seines Schiffes und fing alle Steine leicht mit seinen entfalteten Kriegsfächer, der mit der roten Sonnenscheibe bemalt war, auf. Als die Dämonen sahen, dass ihnen dies nichts helfen würde, öffneten sich ihren Windsack und ließen ihm Feuerwind und Feuerregen entströmen. Feuerwind und Feuerregen verbrannten alle achtundvierzig Schiffe, die Yuriwaka-Daijin begleitet hatten, nur Yuriwaka-Daijins eigenes Schiff blieb wohlbehalten, und es gelang ihm, glücklich an Land zu kommen. Da zogen sich die Dämonen in ihre Felsenhöhle zurück und verschlossen sie mit Felsentüren. Das half ihnen aber nichts, denn Yuriwaka-Daijin öffnete die schweren Steintüren leicht mit seiner großen Eisenstange. Dann lagen die beiden Gegner einander sieben Tage und sieben Nächte gegenüber, sich gegenseitig mit Blicken messend. Schließlich unterlagen in diesem Wettstreit die Dämonen, die Yuriwaka-Daijins Blicke nicht mehr ertragen konnten, und aus ihren Augen flossen blutige Tränen. Nun erst begann der wirkliche Kampf. Yuriwaka-Daijin schlug mit einem Schwertstreich den Dämonenfürsten das Haupt ab. Der Kopf aber flog zum Himmel empor, um sich dort die Medizin zu holen mit der man Kopf und Körper wieder vereinigen kann. Schnell packte Yuriwaka-Daijin, während der Kopf noch unterwegs war, den Körper des Dämonenfürsten in eine große Steinkiste und verschloss diese mit einem schweren Deckel. Als der Kopf nun vom Himmel zurückkehrte, konnte er sich nicht mehr mit dem Körper vereinigen und stürzte sich voll Wut und Verzweiflung auf Yuriwaka-Daijin. Von den sieben Eisenschichten von Yuriwaka-Daijins Helm zerbiss er sechs Schichten, so dass nur noch eine einzige Schicht Yuriwakas Kopf schützte. Dieser aber zeigte keine Angst und Schwäche, sondern sagte nur lachend: "Sieben Schichten hat mein Helm, nachdem du zwei zerbissen hast, bleiben doch noch fünf übrig." Als dies der Dämonenkopf hörte, verlor er den Mut, ließ den Helm fahren und fiel tot zur Erde. Nun erst wandte sich Yuriwaka-Daijin gegen die übrigen Dämonen und vernichtete alle bis auf einen kleinen Dämon, dem er das Leben schenkte. Obwohl dieser Sieg nur einzig und allein dem gnädigen Beistand der Götter zu verdanken war, rühmte sich Yuriwaka-Daijin, den Sieg ganz allein, nur durch seine eigene Kraft errungen zu haben, und weigerte sich, den Göttern seinen Dank zu sagen. Dafür traf ihn die himmlische Strafe. Als er sich, von dem langen, schweren Kampf ermüdet, ausruhen wollte und im Grase liegend einen kurzen Schlaf zu tun gedachte, schlief er drei Tage und drei Nächte lang ohne Unterbrechung. Da überredeten seine beiden Vasallen, Beppu no Jiro und Beppu no Saburo, die Mannschaft dazu, ohne Yuriwaka-Daijin nach Hause zurückzukehren, um Lohn und Ruhm für die Vertilgung der Dämonen für sich in Anspruch zu nehmen. Heimlich segelten sie davon und ließen den schlafenden Yuriwaka-Daijin ohne Mittel und Hilfe auf der Insel zurück. Als Yuriwaka-Daijin nach dem dritten Tag seines Schlafes erwachte, sah er sich von den Seinigen verlassen und allein nur mit dem kleinen Dämon, dem er das Leben geschenkt hatte, als Gefährten. Dort wohnte er in einer Höhle, und seine einzige Nahrung war Seegras, das der kleine Dämon für ihn suchte und ihm vorsetzte, nachdem er es in seinem Munde mit seinem feurigen Atem gekocht hatte.
Die Brüder Beppu hatten inzwischen, in der Heimat angekommen, überall die Nachricht verbreitet, dass Yuriwaka-Daijin im Kampfe mit den Dämonen den Tod gefunden habe , und waren zur Belohnung für die Vernichtung der Dämonen mit Yuriwaka-Daijins Gütern und Ämtern belohnt worden. Nur Yuriwaka-Daijins Frau wollte an seinen Tod nicht glauben. Eines Nachts sah sie ihn im Traum allein auf einer einsamen Insel, auf Befreiung und rettung wartend. Da nahm sie Yuriwaka-daijins Lieblingsfalken Midormaru und befahl ihm, zu Yuriwaka-Daijin zu fliegen. Als der Falke Yuriwaka-Daijin auf seiner Insel gefunden hatte, schrieb dieser mit einem Holz auf ein Baumblatt einen Brief an seine Frau, band das Blatt dem Falken an den Fuß und ließ ihn wieder fliegen. Als Yuriwaka-Daijins Frau den Brief auf dem Blatt erhalten hatte, sandte sie den Falken nochmals aus und band ihm Pinsel, Tusche und Tuschschreibstein zusammen mit einem Brief an das Bein. Der Tuschschreibstein war aber für den Falken zu schwer, und unterwegs verließen ihn die Kräfte. Er fiel ins Meer und ertrank. Die Wellen trieben aber den toten Falken an den Strand der Insel, und dort fand ihn Yuriwaka-Daijin, als er am Strand nach einem rettenden Schiff Umschau hielt. So verlor er zum zweiten Male die Möglichkeit, mit seiner Frau in Verbindung zu treten. Nachdem nun Yuriwaka-Daijin drei Jahre auf der einsamen Insel verbracht hatte, hatte eines Nachts ein Fischer einen Traum, in dem wurde ihm verheißen, wenn er bei der Insel Onigashima fischte, so würde er einen seltenen Fisch fangen. Als er sich dorthin aufmachte, traf er Yuriwaka-Daijin auf der Insel. In den drei Jahren, in denen sich Yuriwaka-Daijin weder Haare noch Bart geschnitten noch ein warmes Bad genommen hatte, war er ganz verwildert und sah einem Menschen nicht mehr ähnlich. Als er den Fischer bat, ihn in sein Boot zu nehmen, wollte dieser deshalb nicht auf ihn hören.Yuriwaka-Daijin aber bestieg trotzdem das Boot und zwang den Fischer, ihn nach der Heimat zu fahren. Dort angekommen, wanderte er durch das Land, bis er zu seinem Palast gekommen war. Dort erkannte ihn niemand. Nur sein altes Lieblingspferd Onikage erkannte ihn wieder und begrüßte ihn, als er am Pferdestall vorüberging, indem es achtmal vor ihm die Knie beugte. Sonst wollte niemand etwas von dem schmutzigen und verwilderten Menschen wissen, und man gab ihm schließlich aus Gnade den Posten eines Badstubenheizers im Palast. Weil sein Körper über und über mit Schmutz bedeckt war und sein Bart und Haare verfizt wie Moos waren, nannten ihn alle Leute nur Kokemaru (Moosbartel). Als Yuriwaka-Daijins alte Amme einmal diesen Kokemaru sah, dachte sie bei sich: "Sieht er nicht irgendwie meinem Herrn Yuriwaka ähnlich? Wenn es Herr Yuriwaka wäre, so müsste er doppelte Zahnreihen haben. Wie könnte ich es wohl anstellen, dass ich diesen da zum Lachen bringe, um Gelegenheit zu haben, seine Zähne zu sehen?" Schließlich dachte sie sich einen Plan aus. Als Kokemaru einmal auf dem Hofe des Palastes stand, hob sie ihren Rock hoch, entblößte ihren Hintern und begann possenhaft in diesem Aufzug zu tanzen. Als Yuriwaka diesen Tanz der Alten sah, musste er, weil es ihm gar zu komisch vorkam, unbewusst lächeln. Da sah die Alte die doppelten Zahnreihen in seinem Mund und wusste, dass er Yuriwaka-Daijin war. Als sie den Leuten vom Palast ihre Entdeckung erzählte, wollte es ihr niemand glauben und man beschloss, den Kokemaru auf die Probe zu stellen. Yuriwaka-Daijins altes Lieblingsross Onikage war ein wildes Pferd, das außer Yuriwaka-Daijin niemand zu zähmen verstand. Man führte es aus dem Stall und befahl dem Kokemaru, es zu besteigen. Kaum hatte er sich auf seinen Rücken geschwungen, da gehorchte das Pferd, das bis dahin keinen anderen Reiter im Sattel geduldet hatte, gehorsam seinen Zügeln. Nun sahen alle, dass der schmutzige Kokemaru kein anderer als Yuriwaka-Daijin sein konnte. Auf seinen Befehl brachte man ihm dann den Tausendmännerbogen, den niemand als er zu spannen vermochte. Er begriff ihn und erschoss damit die beiden Brüder Beppu und all die treulosen Vasallen, die ihn auf der Insel verlassen hatten. Der Tenno aber freute sich sehr, als er hörte, dass Yuriwaka-Daijin, den alle für tot gehalten hatten, noch am Leben war, und setzte ihn wieder in alle seine Ämter und Würden ein.

Vom Knaben, der träumte
(Japan)
Zu der Zeit, als es noch keine richtigen Schulen gab, wurden einmal zwölf Kinder daheim unterrichtet. Am zweiten Tag des ersten Monats bekamen sie von ihrem Lehrer die Aufgabe gestellt, den ersten Traum im neuen Jahr, den sie geschaut hatten, zu erzählen. "Ich habe diesen Traum gehabt, ich habe jenen Traum gehabt!", so riefen alle und erzählten. Ein Kind aber sprach: "Auch ich habe einen Traum gehabt, und ich erzähle ihn nicht!", und es wollte um keinen Preis sprechen. "Zu sagen, dass du ihn nicht erzählen willst, das ist ungezogen! Sprich!" – "Nein, ich rede auf keinen Fall!" – "Wenn du ihn nicht erzählst, setzen wir dich in einen ausgehöhlten Baumstamm und lassen dich forttreiben. Willst du trotzdem nichts sagen?" – "Nein, ich erzähle ihn nicht!" Da befestigten sie an einem viereckigen Fahrzeug an den vier Seiten Metallstangen, setzten ihn in diesen Bottich, den sie in die reißende Strömung wendeten, so dass er nie das Land erreichte; Früchte der Sagopalme gaben sie ihm zum Essen mit und ließen ihn forttreiben.
Der Traum aber, den der Knabe gesehen hatte, war ein Traum, in dem er, die Hände auf zwei Frauen gelegt, eine Brücke überquerte. Um die Geschichte kurz zu machen: Am sechzehnten Tag des ersten Monats trieb das Fahrzeug hin zu der Dämoneninsel. An ihrer Steilküste legte es polternd an. Als nun die Dämonen jenes Schifflein entdeckten und in Besitz nehmen wollten, stand am Bug des Bottichs geschrieben: "Wer diesem hilft, bringt Tod über seine ganze Familie und den ganzen Clan bis hin zu den Vettern!" Am Heck aber stand geschrieben: "Wer diesem hilft, bringt seiner ganzen Familie und dem ganzen Clan bis hin zu den Vettern ein Leben in Glück!" – "Schaut! Schaut!" riefen die Dämonen und zogen das Fahrzeug an Land. Da zerbrach das Schiff in zwei Teile, und weil aus ihrer Mitte der Knabe heraus kam, beschlossen sie, ihn einzufangen. Dann sprach der erste Dämon: "Schade! Wenn wir ihn auffressen, werden wir von unserem Anführer gescholten!" Uns so berichteten sie zuerst ihrem Anführer: "Das war recht getan! Bringt ihn auf einem Schneidebrett und dazu ein Fischmesser!" befahl dieser darauf. Der Knabe aber schrie: "Wartet! Wenn ich erst zerschnitten bin, ist es zu spät! Augenblicklich möchte ich euren Anführer sprechen! Bringt mich zu ihm!" Da geleiteten die Dämonen den Knaben zum Haus ihres Anführers. Als er nun zu dessen Haus kam, sprach er: "Ich bin mit zwei anderen eine Wette eingegangen: Wir haben abgemacht, dass der erste zum Palast des Drachenkönigs geht, der zweite in die Hölle und ins Paradies und ich eben hierher gehe. Wenn wir die Schatzstücke gesehen hätten, wollten wir zurückkehren. Nun möchte ich vor meinem Tode gern die Schätze sehen, dann will ich sterben. Denn wenn ich sterbe, nachdem ich sie gesehen habe, kann ich im Jenseits davon berichten." Daraufhin holte der Anführer drei Stäbe und zeigte sie ihm: "Der erste wird Tausend-Meilen-Stab genannt, denn sagt man Tausend Meilen, so fliegt man tausend Meilen. Der nächste wird Lebensstab genannt, denn streicht man damit über den Körper eines Toten, so kehrt er ins Leben zurück. Der letzte heißt Seh-und-Hörstab. Durch ihn versteht man die Sprache der Vögel und Vierfüßler." So belehrte er ihn. "Lasst sie mich doch einmal mit den Händen berühren! Als wir drei uns getroffen hatten, war nämlich behauptet worden, dass du nicht einmal gestatten würdest, sie in die Hand zu nehmen." – "Du darfst sie anfassen, aber fass sie an, ohne ein Wort zu sagen!" Der Knabe hatte sie aber kaum in die Hand genommen, als er auch schon "Tausend Meilen! Tausend Meilen!" rief und bis in seine Heimat Osaka zurück flog.
Als er nun am Tor seines Hauses in Osaka ankam, saßen da zwei Raben. Er hielt den Seh-und-Hörstab ans Ohr und lauschte. "Die einzige Tochter des Edelmannes aus dem westen liegt im Sterben. Schnell! Eile! Eile!", so sprachen sie. Hurtig machte sich der Knabe auf den Weg zum Haus des Edelmannes aus dem Westen, und dort sah er, dass am Fluss etwa zehn Frauen bereits den Reis für die Zeremonie des "Bootfortschickens wuschen. "Ich bin ein Wunderpriester und möchte die verstorbene Tochter sehen!" forderte er. Da hörte eine Frau auf, Reis zu waschen, und geleitete den Knaben zu dem Haus des Edelmannes. Dieser freute sich und bat: "Untersuche sogleich meine Tochter!" Der Knabe antwortete: "Wenn sie es ist, die soeben verstorben ist, so will ich sie untersuchen." Und er stellte rings um die Tote Wandschirme auf und strich mit dem Lebensstab über sie. Da schlug sie die Augen auf. "Wahrlich, so etwas gab es bis jetzt noch nie!" sprach er zu sich, und nachdem er dem ins Leben zurückgekehrten Mädchen die Abendmahlzeit zu essen gegeben hatte, war sie wieder ein Mensch wie zuvor.
Der Edelmann aber rief: "Dieser Mann ist Herr über das Leben!" machte den Jungen zum Mann seiner Tochter und alle führten ein Leben in Zufriedenheit.
In dieser Zeit starb auf einmal die einzige Tochter des Edelmannes aus dem Osten ganz plötzlich. "Der Schwiegersohn des Edelmannes aus dem westen vermag Tote ins Leben zurückkehren zu lassen. Ich will ihn herbitten, damit er meine Tochter ins Leben zurückkehren lässt!" sprach jener und kam, um ihn zu bitten. Jedoch der Edelmann aus dem Westen erklärte ihm, das sei nicht möglich; und wies ihn ab. Denn schickte er ihn hinüber, würde er, da auch drüben nur eine Tochter da sei, ebenfalls zum Adoptivsohn erwählt werden. Als aber der Edelmann aus dem Osten beteuerte, dass er ihn gewiss nicht zum Schwiegersohn haben wollte, schickte er seinen Schwiegersohn zur Hilfe. Doch nachdem dieser mit seinem Lebensstab das Leben des Mädchens gerettet hatte, ließ ihn der Edelmann aus dem Osten gar nicht mehr heimkehren. Daraufhin verklagte der Edelmann aus dem Westen jenen beim Fürsten und erhielt folgendes Urteil: Die ersten fünfzehn Tage des Monats solle der Knabe Schwiegersohn im Osthaus, die restlichen fünfzehn Tage im Westhaus sein.
Der junge Mann erhielt also zwei Haushaltungen; und alle fünfzehn Tage begrüßte und verabschiedete er auf einer Brücke mitten auf seinem Weg seine beiden Frauen, so wie es sein erster Traum im neuen Jahr gesagt hatte: Es werde geschehen, dass er seine Hände auf die Schultern zweier Frauen legen durfte.

Von einem Affengott im Lande Hida,
der sich Menschenopfer darbringen ließ
(Japan)
Heut ist es schon lange her. Da zog einst ein Priester, ohne ein festes Reiseziel im Auge zu haben, kreuz und quer durch das Reich. Auf seiner Wanderfahrt kam er auch in das Land Hida und verirrte sich tief in den Bergen. Vergebens versuchte er, das den Boden bedeckende Laub mit dem Fuß beiseite schiebend, etwas wie einen Pfad zu finden. Als er schließlich einen Weg gefunden zu haben glaubte, führte dieser bald schon nicht weiter, sondern lief geradewegs in einen Wasserfall hinein, der dort, breit, wie ein Vorhang hoch oben vom Berge herab fiel. Er wollte umkehren, konnte aber auch den Weg, auf dem er gekommen war, nicht wieder finden. Überall hemmten unübersteigbare Felswände, wie abwehrend erhobene Handflächen, die ein. Bis zweihundert Jo hoch ragten, seine Schritte. In seiner Not rief er schließlich unseren Herrn Buddha um Hilfe an. . Da hörte er hinter sich Fußschritte, und sich umwendend sah er einen Mann mit großen Reisehut, der eine Last auf dem Rücken trug, daher kommen. Froh, in dieser Einöde einen Menschen getroffen zu haben, schritt er auf ihn zu und fragte ihn: "Wer bist du? Woher kommst du? Wohin führt dieser Weg?" Der aber gab ihm keine Antwort, ging, ohne rechts oder links zu schauen, auf den Wasserfall zu, sprang in diesen hinein und verschwand darin. Nun war der Priester noch mehr erschrocken, da er glaubte, dass jener kein Mensch, sonder irgendein dämonisches Wesen sein müsse. Er dachte bei sich: "So hat mich also ein böses Geschick ereilt, und es gibt kein Entkommen mehr aus dieser Gefahr. Ehe ich mich aber hier von Dämonen umbringen lasse, will ich lieber selbst meinem Leben ein Ende machen. Bin ich erst einmal tot, so sollen mich die Dämonen ruhig verschlingen." Er befahl also Buddha seine Seele und bat ihn um seine Hilfe in einem späteren Leben. Da sprang er, wie jener, in den Wasserfall hinein. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, als würde ihm Wasser in das Gesicht geschüttet, dann aber schien es ihm, als ob der Wasserfall schon hinter ihm läge. Zuerst dachte er: "Jetzt bin ich also ertrunken", dann aber kam es ihm zu Bewusstsein, dass er noch im vollen Besitz seiner Sinne war, und er blickte hinter sich. Da sah er, dass der Wasserfall, den er für so gefährlich gehalten hatte, nur einen ganz dünnen, einfachen Wasservorhang vor dem Berg bildete und dass ein Weg mitten durch ihn hindurch lief. Er schritt auf diesem Wege, der um den Fuß des Berges herum führte, weiter, und ihn bis zum Ende verfolgend, sah er bald, vor sich ein großes Dorf liegen, wo er Menschen zu finden hoffte. Während er deshalb freudig die Straße entlang zog, kam der Mann, den er getroffen hatte, nachdem er seine Last ins Dorf getragen hatte, schnellen Schrittes wieder auf ihn zu, gefolgt von einem Mann im Amtsschulterkleid aus zartgrünen Hanf, der ihm ein Ortsvorsteher oder sonst irgendeine Amtsperson zu sein schien. Beide liefen so schnell auf ihn zu, als ob sie es sehr eilig hätten, ihn zu erreichen. Der Mann im Schulterkleid ergriff den Priester sofort am Arm und suchte ihn mit sich fortzuziehen. Erstaunt fragte dieser: "Was soll das bedeuten? Was habt ihr mit mir vor?" Der Mann im Schulterkleid antwortete ihm aber nur: "Mit mir musst du gehen und mit keinem anderen!" Inzwischen kamen von überallher, von hier und von dort, andere Leute gelaufen, und jeder verlangte, dass er ihm in sein Haus folgen sollte, und wollte ihn mit sich ziehen. Der Priester aber konnte nicht verstehen, warum jeder ihn für sich beanspruchte, Schließlich, da die Leute sich nicht einig werden konnten, riefen sie: "Warum sollen wir uns streiten? Lasst uns ihn zum Kreisvorsteher führen. Der soll entscheiden, mit wem er zu gehen hat!" Mit diesen Worten führten sie ihn, der schon keinen eigenen Willen mehr hatte, zu einem großen Haus. Als sie dort angekommen waren, trat ein ehrwürdiger aussehender Greis aus der Tür und fragte: "Was geht hier vor sich?" Der Mann, den er am Wasserfall mit der Last auf dem Rücken getroffen hatte, trat vor und sagte: "Diesen da habe ich aus dem Reich Nippon hierher geführt und habe ihn diesem Mann hier geschenkt!" Damit deutete er auf den Mann mit dem Schulterkleid. Da sagte der Greis: "Demnach hat niemand als du ein Anrecht auf diesen Menschen", und übergab ihn diesem. Die anderen Leute gingen, als sie das Urteil gehört hatten, wieder davon. Während der Priester nun dem Mann mit dem Schulterkleid folgte, dachte er bei sich: "Zweifellos sind alle diese Leute böse Dämonen. Wenn dieser da mich zu seinem Haus geführt haben wird, wird er mich sicherlich auffressen", und die Tränen liefen ihm bei diesem Gedanken über die Backen. Das sah der Mann im Schulterkleid und erkannte so, dass jener vor irgendetwas Angst haben müsse. Als der Priester darauf zu ihm sagte: "Alle reden sie hier von Nippon, meinem Heimatland, wie von einer fernen Gegend. Wo bin ich jetzt?" Da beruhigte ihn der, der ihn führte: "Mach dir keine schlimmen und falschen Gedanken. Wir leben hier in einer glücklichen Welt. Hier braucht man sich nicht um die vielen Nöte des Lebens zu kümmern. Du kannst hier deine Tage sorglos und im Überfluss zubringen." Unterdessen waren sie schon zum Haus des Mannes gekommen. Als der Priester das Haus sah, schien es ihm zwar etwas kleiner als das Haus des Kreisvorstehers zu sein, aber trotzdem zeichnete es sich durch seine Bauart vor den anderen Häusern des Dorfes aus. Dort wurden die beiden bereits von zahlreicher männlicher und weiblicher Dienerschaft und den Familienangehörigen erwartet, die ihre Freude über die Ankömmlinge laut zu verstehen gaben. Der Mann im Schulterkleid wandte sich an den Priester und forderte ihn auf einzutreten und nötigte ihn, im Hausflur Platz zu nehmen. Dort nahm man ihm das Gepäck, Hut, Mantel und Schuhzeug ab und führte ihn in ein schön eingerichtetes Zimmer. "Bringt schnell Essen herbei", rief nun der Hausherr, und schon trug man vor dem Priester die leckersten Gerichte, Fische und Geflügel, alles, was das Herz begehrt, auf. Der saß davor, schaute die schönen Speisen an und traute sich nicht davon zu essen. Schon kam der Mann gelaufen und fragte ihn: "Warum langst du nicht zu?" – "Ich bin schon in jungen Jahren in den Priesterstand getreten, habe Zeit meines Lebens derartige Dinge nie gegessen und gesehen. Deshalb schaue ich sie mir nur an", erwiderte der Priester. "Dem mag wohl so sein, aber hier musst du nach unseren Sitten leben. Wie willst du leben, ohne zu essen? Du musst dein ganzes Leben ändern. Ich habe eine einzige Tochter, die ist noch ledig und im heiratsfähigen Alter, sie würde gut zu dir passen, und ich will sie dir zur Frau geben. Lass dir von heute an die Haare wachsen, sonst kannst du dich ja hierzulande nirgends sehen lassen. Ändere dein bisheriges Leben und lebe nach meinem Rat." Als der Mann im Schulterkleid so auf ihn einredete, dachte der Priester bei sich: "Widerspreche ich ihm oder befolge ich seine Ratschläge nicht, dann schlägt er mich am Ende gar noch tot. Ich fürchte mich wohl, ihm nachzugeben, aber andererseits ist da ja auch kein Ort vorhanden, wohin ich vor ihm entfliehen könnte. Bin ich es auch nicht gewohnt, dererlei Dinge zu essen, so ist es wohl besser, ich tu ihm in diesem Fall seinen Willen." Als der Priester seine Absicht dem Hausherrn mitteilte, war dieser hocherfreut darüber, brachte sofort auch sein eigenes Essen herbei, setzte sich dem Priester gegenüber hin, und beide nahmen das Mahl gemeinsam zu sich. Der dachte bei sich: "Was mag wohl Buddha dazu sagen?", aß vor allem, auch vom Fisch und vom Geflügel. Als es dann Abend wurde und der Priester sich zur Ruhe legen wollte, öffnete der Hausherr die Tür zu seinem Zimmer und schob ihm ein schönes junges Mädchen, das kaum zwanzig Jahre alt sein mochte und in prächtige Gewänder gekleidet war, ins Zimmer mit den Worten: "Hier, die schenke ich dir. Von heut ab soll sie dir gehören. Habe sie so lieb, wie ich selbst sie liebe, denn sie ist meine einzige Tochter. Wirst du nun glauben, dass meine Gefühle für dich nur freundschaftlicher Art sind?" Damit entfernte er sich wieder, ehe der Priester zu Wort kommen konnte. Er näherte sich nun dem Mädchen, fand an ihr Gefallen, und so lebten sie dann als Mann und Frau zusammen und verbrachten miteinander die folgenden Monate und Tage in vielen unvergleichlich schönen Stunden. Er kleidete sich ganz nach seinem Belieben, aß was ihm schmeckte und was er begehrte, und nahm an Körperumfang und Gewicht zu. Das Haar ließ er sich wachsen, ließ sich einen Knoten auf dem Scheitel binden, und wenn er die Zopfkappe, die Kopftracht der verheirateten Männer, dazu aufsetzte, so stand ihm dies recht gut, und er konnte sich als schöner Mann wohl sehen lassen. Deshalb nahm die Liebe seiner jungen Frau zu ihm auch von Tag zu Tag zu, und sie konnte sich schließlich kaum mehr für einen Augenblick von ihm trennen. Auch der Mann erwiderte die Gefühle seiner Frau, verliebte sich, da sie ihm täglich lieblicher und schöner zu sein schien, immer mehr in ihre Gestalt und in ihr Wesen und dachte nirgendwo anders glücklicher leben zu können als an diesem Ort. So verbrachten sie zusammen die Tage und die Nächte. Die Zeit verflog, und ehe sie es sich versahen, waren schon acht Monate ins Land gegangen. Von dieser Zeit an fiel ihm eine Änderung im Aussehen seiner Frau auf. Irgendwas schien sie schwer zu bedrücken. Das Benehmen des Hausherrn aber wurde von da an Tag zu Tag liebenswürdiger und freundlicher. "Ein Mann sieht nach nichts aus, wenn er nicht gut beleibt ist, du musst dich besser pflegen", sagte er zu seinem Schwiegersohn und nötigte ihn, mehrmals am Tage kräftige Speisen zu sich zu nehmen. Je mehr sein eigener Körperumfang aber zunahm, desto mehr Tränen vergoss seine Frau. Das fand der Mann merkwürdig, und er fragte sie deshalb: "Woran denkst du? Was macht dir solchen Kummer? Ich kann das alles nicht verstehen." Statt ihm eine Antwort auf seine Frage zu geben, erwiderte die Frau nur: "Ach, ich habe nur manchmal so trübe Gedanken", und weinte von da an nur noch mehr. So blieb ihr Benehmen dem Mann weiter unverständlich, und er fand es schließlich unheimlich, dass da niemand war, den er über das ihm rätselhafte Benehmen von Vater und Tochter befragen konnte. Als eines Tages ein Gast ins Haus kam, belauschte der Mann dann ein Gespräch zwischen dem Hausherrn und seinem Gast. Der sagte: "Klug hast du das angestellt. Hast die da einen Stellvertreter besorgt, der von allem, was ihm bevorsteht, nichts ahnt. Du kannst wahrhaftig froh sein, so deiner Tochter das Leben erhalten zu haben." Der Hausherr antwortete ihm: "Recht hast du mit dem, was du da sagst. Hätte ich den nicht gefunden, wie würde es wohl in Jahresfrist um mein Herz bestellt sein?" Dann ging der Gast und der Hausherr geleitete ihn bis zur Tür. Als er zurückkam, fragte er gleich seine Tochter: "Hast du ihm etwas zu essen gebracht?" Dann schickte er den Schwiegersohn dieser nach ins Zimmer und ermahnte ihn nochmals: "Und du, iss ordentlich." War es diesem nun schon unverständlich, warum seine Frau jedes Mal, wenn er aß, in Tränen ausbrach, so war er nun dazu noch beunruhigt wegen der Andeutungen, die der Gast dem Hausherrn gemacht hatte. Vorsichtig versuchte er es, seine Frau zum Reden über dies alles zu bringen, aber wieder vermochte er nichts in Erfahrung zu bringen. Er merkte nur, dass sie ihm gern etwas gesagt hätte, dass da aber irgendetwas sein müsste, dass sie daran hinderte, ihm offen ihr Herz auszuschütten. Inzwischen verging wieder einige Zeit. Da kam plötzlich ungewohntes Leben in das Dorf. Alles Volk war geschäftig. In jedem Hause wurden geräuschvoll die Vorbereitungen für ein großes Festessen getroffen. Die Traurigkeit der Frau aber nahm in dieser Zeit von Tag zu Tag zu, und sie hörte fast nicht mehr auf zu weinen. Da wandte sich der Mann an sie und sagte: "Immer dachte ich, dass du nichts von dem, was dir Anlass zum Lachen oder Zum Weinen geben würde, vor mir verbergen würdest. Ist es nicht herzlos von dir, ein Geheimnis vor mir zu haben?" Als er sich so über sie beklagte und dabei seinerseits zu weinen begann, konnte die Frau das, was sie bedrückte, nicht mehr für sich behalten und sagte: "Gibt es denn etwas, das ich vor dir geheim halten könnte? Ach, es ist uns ja nur noch kurze Zeit vergönnt, dass wir einander sehen und hören können. Das ist es, was mich so traurig macht. Warum mussten wir uns auch ineinander so sehr verlieben?" Nach diesen Worten brach sie von neuem in Tränen aus. Nun antwortete der Mann: "Dass das Menschenleben nicht ewig dauert und dass wir nur so kurze Zeit hier auf Erden leben, ist unser aller Schicksal. Daher ist es zwecklos, darüber zu trauern, aber deine Traurigkeit muss noch eine andere Ursache haben. Sage mir klar und deutlich, was dich in der letzten Zeit so schwer bedrückt." Als er derart auf sie einsprach, verriet ihm schließlich die Frau unter neuen Tränenausbrüchen das bis dahin so sorgsam gehütete Geheimnis: "Hier im Lande haben wir allerlei seltsame Bräuche. In unserem Dorf gibt es einen Gott, der alljährlich ein Menschenopfer von uns verlangt. Deshalb stritten sich, als du hierher kamst, die Leute um dich, da jeder dich als Stellvertreter für das Opfer für sich haben wollte. Denn Jahr um Jahr muss der Reihe nach immer eine Familie das Opfer stellen. Wer keinen Stellvertreter finden kann, muss sein eigenes Kind als Opfer geben. Wärst du nicht zur rechten Zeit erschienen, dann wäre ich in diesem Jahr das Opfer gewesen und der Gott hätte mich verspeist. Nun wird dich dies Los treffen." Dies brachte sie, vielfach von Weinen unterbrochen, vor, der Mann aber zeigte gar keine Unruhe und fragte nur ruhig: "Was sollen die zwecklosen Klagen? Vielleicht lässt sich da Abhilfe schaffen. Zunächst möchte ich wissen, ob die Menschen das Opfer töten, als Opferspeise zubereiten und so dem Gott darbringen?" – "Nein, das geschieht nicht. Man legt das Opfer lebend, ganz nackt auf den Zuschneidetisch und setzt es so innerhalb der heiligen Umzäunung nieder . Wenn alle Menschen dann die Umzäunung verlassen haben und ins Dorf zurückgekehrt sind, bereitet sich der Gott selbst das Opfer zu und verspeist es. Bringt man ihm magere oder alte und gebrechliche Menschen zum Opfer, dann wird der Gott zornig und schickt uns Unheil. Die Ernte wird schlecht, Seuchen brechen aus und Unfrieden herrscht unter den Dorfleuten. Deshalb wird das Opfer, bevor man es darbringt, gut gemästet, um es für den Gott schmackhaft zu machen." - "Ah, nun verstehe ich alles, was mir in dem letzten Monaten so rätselhaft erschienen ist. Weiß man, was dieser menschenfressende Gott für eine Gestalt hat?" – "Ich habe gehört, dass die Gottheit die Gestalt eines großen Affen haben soll", meinte die Frau auf diese letzte Frage ihres Mannes. Der dachte eine Weile nach und gab ihr den Auftrag: "Verschaff mir ein gut schneidendes Schwert!" – "Das ist leicht getan", antwortete jene und brachte ihm auch bald ein Schwert herbei. Der Mann nahm es, prüfte es sorgfältig und schliff es wieder und wieder. Dann versteckte er es an einem sicheren Ort. Nun, da er die ihm drohende Gefahr kannte, blickte er ihr mutig und entschlossen entgegen, aß gut und mit Genuss und wurde zur Freude des Hausherrn von Tag zu Tag kräftiger und nahm gut an Gewicht zu. Hausherr und Dorfleute aber sagten, als sie dies bemerkten: "Das wir ein fettes Opfer und wird dem Dorf Glück bringen." Und alle freuten sich darüber. Inzwischen war die Zeit für den Opfertag herangekommen. Schon sieben Tage vorher wurden geweihte Bannseile um das Haus gezogen und der zum Opfer Bestimmte musste sich allerlei Reinigungszeremonien unterziehen. Auch um alle anderen Häuser spannte man Bannseile, und alle Leute enthielten sich aller Handlungen und Dinge, die Während der Vorbereitung für die heilige Handlung untersagt waren. Die arme Frau aber war ganz untröstlich, zählte nur noch die Tage, die bis zum Opfergang blieben: "Heut sind es nur noch soviel Tage, morgen nur noch soviel…" Dabei weinte sie unaufhörlich. Der Mann aber tröstete sie und tat ganz unbekümmert, als ginge ihn dies alles gar nichts an. Als die Frau ihn so zuversichtlich sah, fasste sie selbst auch wieder etwas Mut und zeigte sich weniger verzweifelt. Dann kam der Tag der Opferung. Man ließ den Mann ein Bad nehmen, zog ihm frische, neue Kleider an, kämmte sorgfältig sein Haar und band ihm den Scheitelknoten. Während man noch damit beschäftigt war, kamen verschiedentlich Boten zum Hause gelaufen und drängten zum Aufbruch mit den Worten: "Beeilt euch, beeilt euch!" Dann bestiegen der Mann und sein Schwiegervater bereitstehende Pferde, um sich zum Opferplatz zu begeben. Als sich die Frau von ihrem Mann wortlos, mit verhülltem Haupt verabschiedete, reichte sie ihm heimlich das Schwert, das er zwischen Sattel und Schenkel verbarg, Am Opferplatz angelangt, sah der Mann auf einem Berge einige Götterspeicher stehen, die von einem heiligen Zaun umschlossen waren, einen Tempel konnte er nicht erblicken. Vor dem heiligen Zaun hatten sich die Dorfbewohner um reich gedeckte Tische niedergelassen. Das Opfer selbst wurde auf einen etwas erhöhten Platz gesetzt und dort von allen bewirtet. Nachdem der Tag unter Schmausen und Trinken mit Begleitung von Tanz und Gesang zu Ende gegangen war, rief man den Mann herbei, zog ihn splitternackt aus und löste ihm die Haare. Dann hieß man ihn sich auf den Zuschneidertisch zu legen und vermahnte ihn: "Bleibe hier völlig unbeweglich liegen!" Die vier Ecken des Opfertisches wurden dann mit Sakakizweigen besteckt und mit geweihten Baumwollstoff behängt. So trug man ihn mit anderen voran getragenen Opfergaben in die heilige Umzäunung hinein, setzte den Opfertisch dort nieder und alle entfernten sich, nachdem sie die Türen des Zaunes wieder verschlossen hatten. Der Mann aber hatte, ohne dass es jemand bemerkt hätte, das Schwert zwischen seinen ausgestreckten Schenkeln versteckt und wartete ruhig ab, was nun geschehen würde. Nach einiger Zeit wurde die Tür des ersten der in der Unzäunung stehenden Götterspeicher knarrend geöffnet, und ein borstiger, dick behaarter Kopf wurde sichtbar, der sich vorsichtig umschaute. Er machte sich daran, die Türen der anderen Speicher gleichfalls zu öffnen. Da trat aus dem Schatten neben einem der Speicher ein Affe, der wohl Menschengröße haben mochte, hervor, ließ laut seinen Schrei "Kiya-kiya!" hören und schritt auf den ersten Speicher zu. Als er dort angelangt war, hob er den Vorhang vor der Tür des Speichers empor und blickte hinein. Da trat ein Affe, größer noch als der andere, seine wie blankes Silber glänzenden Zähne fletschend, aus dem Speicher heraus. Als er sah, dass der Neuangekommene gleichfalls ein Affe war, beruhigte er sich aber. Nach und nach kamen nun aus all den Götterspeichern, die dort standen, Affen hervor und nahmen in einer langen Reihe Platz. Zuletzt setzte sich der Affe, der aus dem Schatten neben dem einen Speicher aufgetaucht war, als wolle er Befehle von ihm empfangen, vor dem großen Affen, der aus dem ersten Speicher gekommen war, nieder. Dieser stieß einige Schreie aus, und der andere erhob sich, trat an den Zuschneidetisch mit dem darauf liegenden Opfer heran, nahm die Tranchierstäbe und das Messer zur Hand und schickte sich an, das Opfer zu schlachten. In diesem Augenblick aber sprang der Mann vom Opfertisch auf, riss das zwischen den Schenkeln verborgene Schwert aus der Scheide und stürzte sich auf den großen Affen aus dem ersten Götterspeicher. Der fiel in plötzlichem Schreck auf den Rücken, und der Mann ließ ihm keine Zeit, sich wieder zu erheben, sondern setzte ihm den Fuß auf die Brust. Dann fragte er ihn mit stichbereiten Schwert: "Bist du ein Gott?" Der Affe aber rieb nur, um sein Leben flehend, die Hände, und die anderen Affen alle flohen laut schreiend vor Angst auf die Bäume, um sich in Sicherheit zu bringen. Der Mann ergriff nun eine starke Ranke, die er mit der Hand erreichen konnte, und band damit den Affen an einen Pfosten des Speichers. Dann setzte er ihm die Spitze seines Schwertes auf den Bauch und schrie ihn an: "Du bist nur ein Affe, hast dich als Gott ausgegeben und hast so Jahr für Jahr Menschen gefressen! Du bist ein unverschämter Betrüger! Jetzt rufe sofort die Affen, die nach dir hier die Anführer sind und die sich den zweiten und den dritten Miko nennen, hierher! Tust du es nicht, so ersteche ich dich augenblicklich! Wenn du ein Gott bist, dann kann dir dies Schwert hier nichts anhaben. Ich werde es sehen, ob du Gott oder Betrüger bist, indem ich dir das Schwert in den Leib stoße!" Mit diesen Worten tat er so, als wolle er zustoßen, als der Affe aber die Spitze auf seinem Leib fühlte, schrie er vor Schmerz laut auf und rieb wieder, um Gnade bittend, die Hände. Nun befahl ihm der Mann: " Wenn dir dein Leben lieb ist, dann rufe schnell den zweiten und den dritten Miko hierher!" Der Affe schrie laut "Kiya, kiya!"; und auf diesen Ruf kamen die beiden Affen, die sich den zweiten und den dritten Miko nannten, von den Bäumen herab. "Nun rufe den Affen her, der mich schlachten wollte!" befahl der Mann. Der große Affe schrie nochmals, und auch dieser Affe kam herbei. Der Mann befahl ihm, einige Ranken herbeizubringen, und als er den Befehl ausgeführt hatte, befahl er ihm weiter, den zweiten und den dritten Miko zu fesseln. Zuletzt fesselte der Mann dann selbst auch diesen mit den Worten: "Du wolltest mich schlachten, aber wenn du mir gehorsam sein willst, dann will ich dich diesmal verschonen. Solltest du es aber wagen, durch deinen Fluch nochmals Unglück über harmlose Menschen zu bringen oder Schlimmes anzustiften, dann bringe ich dich um!" Dann band er alle an Bäume innerhalb des geweihten Zaunes, holte sich Feuer von der Kochstelle, wo die Leute am Tag das Festessen zubereitet hatten, und setzte die Götterspeicher, einen nach den anderen, in Brand. Im Dorf ahnte man von allem, was da oben geschah, nichts, da es weit entfernt von der Opferstelle lag. Als die Leute aber Flammen und Rauch vom Berge aufsteigen sahen, wurden sie unruhig und ängstlich, weil sie nicht wussten, was dort vorging. Da es aber im Dorf ein streng eingehaltener Brauch war, drei Tage lang nach dem Opfertag bei verschlossenen Türen in den Häusern zu bleiben, so wagte auch niemand, dort hinaufzusteigen, um zu sehen, was dort geschehen sei. Ängstlich und unruhig blieben sie deshalb in ihren Häusern und besprachen untereinander die seltsamen Dinge, die sich da oben abspielen mochten. Auch der Mann im Schulterkleid, der den Stellvertreter als Opfer dargebracht hatte, war beunruhigt und dachte bei sich: "Was mag mit meinem Opfer wohl geschehen sein?" Die Frau des Geopferten aber dachte: "Er ließ sich von mir das Schwert geben und nahm es heimlich mit. Irgendetwas hatte er damit im Sinn, und ich glaube, er ist es, der den Brand dort angelegt hat." Während alle so in Furcht und Bangen der kommenden Ereignisse harrten, kam der zum Opfer bestimmte Mann schon, die vier gefesselten Affen vor sich hertreibend, splitternackt mit gelösten Haaren und nur mit einer Ranke um die Hüfte, in die er sein Schwert gesteckt hatte, einen tüchtigen Knüppel schwingend, ins Dorf herunter und sah in jedes Haustor hinein. Als er so alle Häuser besucht hatte, sagten die Dorfleute: "Was mag das nur bedeuten? Da kommt das Opfer und führt die Miko gefesselt vor sich her. Wir haben ein Opfer gestellt, das stärker als der Gott, dem wir es darbrachten, war. Er hat die Götter gefesselt, und nun wird er uns seinerseits fressen." So fürchteten sie sich alle vor dem Mann und wussten nicht, was sie tun sollten. Zuletzt ging der Mann zum Hause seines Schwiegervaters, pochte an die Tür und begehrte Einlass. Als er keine Antwort erhielt, rief er: "Öffne mir die Tür. Wenn du mir aufmachst, so soll dir nichts Schlimmes geschehen. Öffnest du nicht, dann wird es schlimm für dich werden. Öffne also schnell!" Damit stieß er mit dem Fuß an das Tor. In seiner Angst rief der Schwiegervater seine Tochter und sagte zu ihr: "Er war stärker als der Gott. Dich, meine Tochter, wird er nicht hassen. Geh du deshalb hin und öffne die Tür und suche ihn zu besänftigen." Halb voller Angst, aber auch halb freudig bewegt wegen des glücklichen Ausgangs, öffnete die Frau einen Spalt der Tür. Der Mann stieß die Tür weit auf, und als er seine Frau dastehen sah, rief er: "Schnell, bring mir meine Kleider!" Froh brachte da die Frau sein Staatskleid herbei, Kariginu, Hakama und Zopfbedeckung. Er band die Affen an die Türpfosten, kleidete sich schnell im Hauseingang an, ließ sich Bogen und Köcher reichen, hängte sie sich um die Schulter und lief dann zu seinem Schwiegervater und sagte, indem er ihm die Affen zeigte: "Dass man den dort als Gott verehrt hat und ihm Jahr für Jahr Menschen zum Fressen lieferte, ist kaum zu glauben. Wie dumm ihr wart, euch von diesem betrügen zu lassen. Ohne euch zu überzeugen, ob er wirklich ein Gott sei, habt ihr ihm alljährlich Menschenopfer gebracht. Solange ich hier sein werde, werde ich dafür sorgen, dass alles beim Rechten bleibt." Bei diesen Worten zwickte er die Affen schmerzhaft in die Ohren, und als sie ihn kläglich um Gnade anflehten, war dies ein so närrischer Anblick, dass alle, die es sahen, lachen mussten. Als nun der Schwiegervater und die Hausleute sahen, wie er mit den Affen umsprang und wie folgsam sie ihm waren, fassten sie Vertrauen zu ihm, gaben ihre Furcht auf und sagten: "Uns war von allem nichts bekannt, jetzt aber wollen wir dich als unseren Gott verehren und uns nur noch nach deinen Befehlen richten." Damit erhoben sie ihre Hände, als ob sie ihn anbeten wollten. Der sagte nur: "Kommt mit mir zum Kreisvorsteher!" So zogen also Schwiegervater und Schwiegersohn, gemeinsam die vier Affen vor sich hertreibend, vor das Haus des Kreisvorstehers und pochten dort an die Tür. Als man ihnen nicht öffnen wollte, da man davor den Mann mit seinem Schwiegersohn stehen sah, rief dieser: "Öffnet das Tor! Ich habe euch eine Mitteilung zu machen. Öffnet ihr nicht, dann wird Schlimmes geschehen!" Ängstlich öffnete nun der Vorsteher die Tür und warf sich vor dem eintretenden Mann zu Boden. Der zerrte die Affen mit sich ins Haus hinein, blickte sie drohend an und sagte im Beisein des Kreisvorstehers, auf sie deutend: "Der dort hat sich seit Jahren für einen Gott ausgegeben und hat alljährlich einen Menschen gefressen. In diesem Jahr soll er nun zur Vergeltung selbst sterben." Mit diesen Worten legte er einen Pfeil auf die Sehne und zielte auf den größten der Affen. Laut schreiend rieb dieser in seiner Todesangst die Hände, und als der Kreisvorsteher dies sah, fürchtete auch er sich vor dem Mann, trat zu dem Schwiegervater und sagte: "Er wird dann auch uns töten, rettet mich!" Der antwortete ihm: "Seid beruhigt, in meiner Gegenwart wird euch nichts geschehen." Das beruhigte den um sein Leben besorgten Kreisvorsteher. Der Mann aber, als er sah, wie seine entschlossene Haltung gewirkt hatte, sagte zu dem Affen: "Für diesmal soll es gut sein. Ich werde dir noch einmal das Leben schenken. Solltest du dich aber jemals wieder in dieser Gegend blicken lassen oder den Menschen Übles antun, dann werde ich dich erbarmungslos erschießen!" Dann gab er jedem der Affen zwanzig Hiebe mit seinem Knüppel, rief die Leute des Dorfes zusammen und führte sie auf den Berg zu der heiligen Umzäunung. Dort ließ er die Trümmer der Götterspeicher sammeln und auf einen Haufen zusammen tragen, ließ nochmals Feuer dran legen, bis alles verbrannt war. Zuletzt löste er die Fesseln der Affen und trieb sie davon. Hinkend verschwanden sie im Gebirge und wurden nie wieder gesehen. Den Mann aber machten die Leute später zum Herrn des Dorfes, und dort herrschte er dann gemeinsam mit seiner Frau über alle Bewohner. Ganz heimlich aber kam er von Zeit zu Zeit nach Nippon hinüber, und so wurde diese Geschichte auch bei uns bekannt. Anfangs kannten die Leute dort im Dorf weder Pferde noch Rinder noch Hunde. Denn Hunde zu halten, erlaubten die Affen den Menschen nicht, da der Hund der geschworene Feind der Affen ist. Der Mann ließ Pferde, Rinder und Hunde dorthin kommen, die Junge bekamen und sich so vermehrten. Irgendwo im Lande Hida muss dieser Ort liegen, aber die Leute aus den Nachbarländern Shinano und Mino gehen niemals dort hin. Wohl kommen zuweilen Leute von dort ganz heimlich zu uns, von hier aus ist aber noch keiner dorthin gezogen. Denkt man über diese Geschichte nach, so ist dies wohl alles jenem Mann schon in einer früheren Existenz bestimmt gewesen, dass er als Priester in jene Gegend geriet, dort zum Opfer ausersehen wurde, dass er den üblen Brauch abschaffte und schließlich selbst der Herrscher dieses Platzes wurde.

Momotaro – das Kind aus dem Pfirsich
(Japan)
Es ist lange her, da lebten einmal irgendwo ein alter Mann und eine alte Frau. Der Mann ging in die Berge, um Brennholz zu holen; die Frau ging zum Fluss, um zu waschen. Als die Frau einmal gerade ihre Wäsche wusch, kamen vom Oberlauf, bald hierhin, bald dorthin treibend, Pfirsiche geschwommen. Sie fischte einen heraus und kostete ihn; da war er ganz und gar wohlschmeckend. "Das war ein ungewöhnlicher guter Pfirsich! Ich will meinem Mann auch einen mitbringen!" dachte sie und sprach: "Ein Wohlschmeckender Pfirsich soll hierher kommen, ein bitterer Pfirsich soll dorthin schwimmen!" Da kam ein großer, köstlicher Pfirsich auf die alte Frau zugeschwommen. "Dies ist gewiss ein süßer Pfirsich!" sagte sie sich, fischte ihn heraus und ging damit nach Hause. Dort bewahrte sie ihn im Wandschrank auf. Als es Abend wurde, kam der alte Mann, Brennholz auf dem Rücken, aus den Bergen zurück. "Mütterchen! Mütterchen! Ich bin wieder da!" – "Väterchen! Väterchen! Heute ist den Fluss herab ein köstlicher Pfirsich geschwommen gekommen. Ich habe ihn heraus geholt, aufbewahrt und so kannst du ihn essen!" sagte sie und nahm den Pfirsich aus dem Wandschrank. Als sie ihn aber auf ein Küchenbrettchen legte, und ihn zerschneiden wollte, teilte sich der Pfirsich von selbst und ein hübsches Knäblein kam mit einem Seufzer zur Welt. Der Mann und die Frau waren verblüfft. Sie riefen: "Ach, dies ist ungeheuerlich!" und gerieten in große Aufregung. Dann sagten sie: "Weil dieses Kind aus einem Pfirsich geboren wurde, wollen wir es Momotaro, Pfirsichkind, nennen. "Also gaben sie ihm den Namen Momotaro. Die beiden Alten fütterten ihn nun beide mit Brei, gaben ihm Fisch zu essen und zogen ihn so auf. Wenn Momotaro eine Portion aß, so wurde er um ebensoviel größer; aß er eine doppelte Portion, wuchs er und das Doppelte. Lehrten sie ihn eine Sache, begriff er deren zehn; und wie sie ihn allmählich großzogen, wuchs er zu einem Knaben heran. Überdies aber wurde er ein überaus verständiger Knabe. Aus diesem Grund liebten die beiden Alten ihn zärtlich und hatten ihre Freude an Momotaro, ach ihrem Momotaro.
Eines Tages ging Momotaro zu seinem Vater und seiner Mutter in das Haus, setzte sich vorschriftsmäßig nieder, legte beide Hände aneinander und bat: "Vaterchen, Mütterhen, ich bin heran gewachsen. Nun möchte ich zu der Dämoneninsel gehen, um die Dämonen zu unterwerfen; deshalb bitte ich euch, mir die besten Hirseklöße Japans mitzugeben." Obwohl die beiden Alten meinten: "Du hast noch nicht das richtige Alter, wie kannst du da die Dämonen besiegen?" und ihn zurückzuhalten versuchten, sprach Momotaro: "Doch, doch, der Sieg wird mein!" und hörte nicht auf sie. Da wussten sich der alte Mann und die alte Frau keinen Rat und sagten: "Nun, da ziehe hin!" Sie bereiteten kunstvoll die besten Hirseklöße von Japan, gaben ihm ein neues Band um die Stirn, ließen ihn eine neue Hakama anlegen, ein Schwert einstecken, gaben ihm eine Fahne, aus der geschrieben stand: "Der einzigartige Momotaro von Japan", und steckten die Hirseklöße in seine Hüfttasche. "Also, nimm dich in acht und ziehe hin. Wir hoffen, dass du die Dämonen unterwirfst und wieder kommst!", so sprachen sie. Und er ging fort, von dem alten Ehepaar zum Abschied geleitet.
Als er an das Ende des Dorfes kam, fand sich ein Hund ein, der bellte: "Herr Momorato! Herr Momorato! Wohin geht ihr?" – "Zu der Dämoneninsel, die Dämonen zu bezwingen." – "Ich begleite euch zu der Dämoneninsel. Bitte, gebt mir einen von den besten Hirseklößen Japans!" – "Nun, dann werde mein Diener. Da diese so gut sind, befähigen sie uns, die Kraft von zehn Männern zu erlangen!" antwortete er und nahm aus seiner Hüfttasche einen Hirsekloß heraus. Nachdem er so den Hund zu seinem Diener gemacht hatte und weiter in die Berge wanderte, kam jetzt – keen! Keen! Rufend – ein Fasan heran. Gleich dem Hund erhielt er einen Hirsekloß und wurde ebenfalls sein Diener. Momotaro zog nun, von seinen zwei Dienern begleitet, in die Tiefe der Berge. Da kam ein Affe – kya! kya! Schreiend – heran. Auch der Affe wurde Momoratos Diener. Momotaro machte nun den Anführer, gab dem Hund die Fahne und ohne Aufenthalt zogen sie hin zu der Dämoneninsel.
Als sie auf die Dämoneninsel kamen, erhob sich da ein großes, schwarzes Tor. Dondon! Pochte der Affe an das Tor. Da sprach es von drinnen: "Wer ist es?", und ein roter Dämon kam heraus. Momotaroo sagte: "Ich bin der einzigartige Momotaro von Japan. Ich bin zu der Dämoneninsel gekommen, um die Dämonen zu unterwerfen; macht euch alle bereit!" Und er zog sein Schwert und griff an. Der Affe nahm eine lange Lanze, der Hund und der Fasan nahmen ein Schwert und schlugen los. Die kleinen Dämonen welche dort waren, gerieten in große Aufregung und flüchteten sich in die Tiefe. Die Dämonen in der Tiefe aber befanden sich gerade mitten in einem Trinkgelage. Als sie hörten, dass Momotaro gekommen sei, höhnten sue: "Was? Momotaro, wer ist das?" und kamen zum Angriff. Unsere vier Krieger aber hatten die besten Hirseklöße Japans gegessen und waren so stark, als hätten sie die Kraft von tausend Männern, und somit wurden die Dämonen alle besiegt.
Darauf faltete ein schwarzer Dämon, der Anführer von allen, vor Momotaro die Hände, vergoss aus seinen großen Augen Tränen und sprach: "Gegen euch kommen wir nicht an! Ich bitte, schenkt uns allen das Leben! Von nun an werden wir niemals mehr Böses tun!" Und er bat Momotaro um Verzeihung. "Nun, wenn ihr von jetzt an keine bösen Taten mehr vollbringt, will ich euch das nackte Leben lassen!" antwortete jener. Da sprach der Dämon: "Alle unsere Schätze geben wir euch dafür!" Was sie nur an Schätzen hatten, gaben sie Momotaro.
Momotaro häufte die Kostbarkeiten auf einen Wagen, ließ den Hund, den Affen und den Fasan mit he! Und hopp! Ziehen und kehrte damit als Geschenk für die beiden alten Leute heim. Der alte Mann und die alte Frau freuten sich sehr und priesen Momorato. Als diese Geschichte dem Himmelssohnzu Ohren kam, überhäufte er sie mit Wohltaten und sorgte dafür, dass die beiden Alten ihr ganzes Leben in Wohlstand verbringen konnten.

Vom alten Mann, der verdorrte Bäumen
wieder zum Blühen brachte
(Japan)
In alter, alter Zeit lebte einmal irgendwo auf dem Lande ein gutherziges altes Ehepaar. Neben ihnen wohnte ein anderes Paar, das waren aber hartherzige und habgierige Menschen. Als die habgierige Alte einmal zum Fluss hinunterging, um dort ihre Wäsche zu waschen, kam ein alter, leerer Reiskübel, den irgendwer als unbrauchbar fort geworfen hatte, den Fluss herab geschwommen. Da die Alte geizig und habgierig war, fischte sie den Kübel aus dem Fluss heraus und nahm ihn mit sich nach Hause. Auch die gutherzige alte Frau war zum Waschen an den Fluss gegangen. Da kam ein kleines Hündchen mit der Strömung herab geschwommen, und mitleidig, wie sie war, holte sie das kleine Tür aus dem Wasser und nahm es mit nach Hause, um es aufzuziehen. Als das Hündchen groß geworden war, wurde es ganz zahm und zutraulich. Einmal arbeitete der alte Mann in einem Garten, da scharrte der Hund in der Erde und bellte dazu: "Grabt hier nach und sucht!" Als nun die beiden Alten dort, wo er gescharrt hatte, nachgruben, fanden sie dort lauter Gold- und Silberstücke vergraben. Das hatte der habgierige Nachbar gesehen, er wurde ganz neidisch und sagte: "Seht nur, seht nur, das viele Geld, das ist ja ein wahrer Wunderhund! Wollt ihr ihn mir nicht ein bisschen leihen!" Als die gutmütigen Alten dem Nachbar nun den Hund liehen, packte der ihm Grabscheit und Hacke auf den Rücken und zerrte ihn überallhin, hierhin und dorthin mit sich, bis der Hund schließlich vor Erschöpfung zu Boden fiel. Der habgierige Alte dachte, dass er dort Geld finden würde, als er aber nachgrub, kam nur allerlei Unrat zutage. Da rief er: "Das werde ich dir heimzahlen, du widerwärtiges Vieh, nichts als Unrat hast du uns beschert! Ich werde dich totschlagen und hier verscharren!" Auch die Alte rief: "Schlag nur tüchtig auf ihn ein! Der Hund winselte laut: "Tut doch nicht solches Unrecht, Kyan, Kyan!" Doch sie schlugen ihn tot und verscharrten ihn an Ort und Stelle unter einem kleinen Kiefernbaum. Als der gutherzige Alte davon erfahren hatte, kam er täglich zu dem Bäumchen, um dort zu weinen. Von seinen Tränen benetzt, fing das Bäumchen auf wunderbare Weise an von Tag zu Tag mehr und mehr zu wachsen, bis es zu einem Baum geworden war. Nun bat der gutherzige Alte den geizigen Nachbarn: "Ich möchte mir aus dem Baumstamm eine Handmühle machen. Willst du ihn mir nicht schenken?" Der antwortete: "Als Ersatz für den Hund kannst du ihn dir mitnehmen, damit du endlich mit dem ewigen Wehklagen aufhörst." Nun sägte der Alte den Baum ab und machte sich aus dem Stamm eine Handmühle. Als die Mühle fertig war, sagten die beiden Alten: "Wir wollen Mehl mahlen, um Klöße daraus zu machen, die wir dem toten Hund als Opfergabe darbringen können." Wie sie nun aber die Mühle zu drehen begannen, quollen zwischen dem Mehl zahlreiche Gold- und Silbermünzen daraus hervor. Der habgierige Alte hörte davon und kam nun, um sich die Mühle zu leihen. Als sich aber das habgierige Paar vor die Mühle setzte und sie drehten, quoll nur Schmutz und Unrat hervor. Zornig darüber, zerhackten sie die Mühle zu Brennholz. Als dann der Nachbar kam, um sich seine Mühle wieder abzuholen, sagten sie zu ihm: "Sie hat nur Dreck und Unrat gemahlen. Weil wir darüber zornig waren und gerade kein Brennholz hatten, haben wir sie in Stücke gehackt. Dafür war sie gerade gut!" Der gutherzige Alte bat nun: "Dann gebt mir wenigstens die Asche, die von dem Brennholz übrig geblieben ist." Da sagten die beiden: "Du kannst dir davon soviel nehmen, wie du willst." Der füllte sich einen Korb voll Asche und trug ihn nach Hause. Als er nun die Asche über seinen Acker streute, wurde sie vom Wind auf einen verdorrten Pflaumenbaum, der dort stand, geweht, und der verdorrte Baum fing plötzlich, mitten im Winter, an zu blühen, als ob es Frühjahrszeit wäre. Zufällig kam der Fürst des Landes gerade dort vorüber und sah dies. "Väterchen, Väterchen, kannst du alle verdorrten Bäume wieder zum Blühen bringen?" fragte er den Alten. "In meinem Palast stehen auch verdorrte Bäume." Der Alte ging dort hin, und alle Bäume, über die er die Asche streute, fingen an zu blühen. "Nun lass diesen Kirschbaum blühen!" sagte der Fürst, "und nun jenen Hyakujikkobaum und dort die Kamelie!" Immer, wenn der Fürst ihn hieß, noch einen Baum blühen zu lassen, antwortete der Alte nur: " Wie ihr befehlt!", streute die Asche über die kahlen Äste, und überall sprossten dort Blüten hervor. "Das ist wahrhaftig wunder bar", rief der Fürst, "gebt dem Mann eine gute Belohnung!" Sofort riefen die Vasallen: " Das soll geschehen", und man entließ den Alten reich beschenkt. Das alte Ehepaar freute sich über diese Belohnung und beschloss, sich dafür viele Felder und andere schöne Dinge zu kaufen. Als der habgierige Nachbar dies erfahren hatte, sagte er: "Morgen werde auch ich hingehen und die Bäume erblühen lassen. Auch ich möchte so viel Geld haben und solche Pläne schmieden können wie ihr beiden." – "Geh nur hin und versuch gleichfalls dein Glück", sagte der gutherzige Alte, und der habgierige Nachbar kratzte den Rest der Asche aus seinem Herdloch zusammen, tat sie in einen Korb und ging damit zur Stadt. Dort rief er laut auf den Straßen aus: "Hier ist der alte Mann, der verdorrte Bäume zum Blühen bringt! Hier ist der alte Mann, der verdorrte Bäume zum Blühen bringt!" Als der Fürst ihn so ausrufen hörte, sagte er: "Wollen wir uns das Kunststück anschauen." Er ließ den Alten herbei rufen und befahl ihm, seine Kunst zu zeigen. Als der aber auf einen Baum stieg und die Asche über die Zweige streute, trieb der Wind sie dem Fürsten und seinen Gefolgsleuten in den Mund und Augen. "Unverschämter Bursche!" rief darauf der Fürst, "statt Blüten blühen zu lassen, hast du mir Asche in die Augen geworfen!" Die Gefolgsleute aber schrien: "Warte, du Schurke, wir wollen dir ein schönes, rotes Kleid anziehen! Du Erzbetrüger, wir wollen dich lehren, unseren Herrn Asche in die Augen zu werfen! Totschlagen müsste man dich!" Damit fielen sie über ihn her und prügelten ihn, bis das Blut herabfloss und seine Kleider ganz rot färbte. Vergebens flehte er um Gnade, sie hörten nicht auf, ihn zu schlagen, bis er keine Lebenszeichen mehr von sich gab. Als seine Peiniger verschwunden waren, raffte er sich mühsam auf, um nach Hause zurückzukehren. Dort wartete seine Frau schon ungeduldig auf seine Heimkehr. Als sie ihn dann von ferne kommen sah, dachte sie: " Ah, er hat vom Fürsten ein schönes rotes Gewand bekommen. Sicherlich bringt er noch viele andere kostbaren Sachen mit. "Dann aber, als er näher kam, sah sie erschreckt, dass seine Kleider vom Blut so rot gefärbt waren. Der Alte aber legte sich, als er zu Hause angekommen war, auf das Krankenlager und erlangte seine Gesundheit niemals völlig wieder.

Schlafmütze
(Japan)
Vor langer Zeit begab es sich einmal, dass irgendwo zwei Häuser standen. Das östliche Haus war überaus reich, das im Westen aber war ein armes, kleines und halbzerfallenes Haus. In dem armen westlichen Haus war der Vater gestorben und die Mutter lebte allein mit ihrem einzigen Sohn. Dieser Sohn war ein schrecklicher Faulpelz. Tag für Tag tat er nichts als nur essen und schlafen und wieder essen und schlafen. Deshalb nannten die Leute den Kerl "Kutchane". Auch die Mutter konnte es nicht mehr länger mit ansehen. "Wenn du überhaupt nicht arbeiten willst, wie sollten wir dann nicht Not leiden?", so redete sie ihm von Zeit zu Zeit ins Gewissen. Doch der Sohn erwiderte jedes Mal: "Nun, Mütterchen, ich habe doch einen Plan!", und unverändert tat er nichts als essen und schlafen.
Währenddessen wurde der Sohn einundzwanzig Jahre alt. Als die Mutter einmal in die Stadt ging, um Holzkohlen zu verkaufen, bat er: "Mütterchen, wenn du in die Stadt gehst, dann kaufe mir bitte eine Priester-Mütze und ein Priester-Kleid!" Als aber die Mutter fragte: "Wofür soll das sein?", antwortete der Sohn nur: "Es ist für meinen Plan", und er gab keinen richtigen Grund an. Da die Mutter nun nicht wusste, wofür die Sachen sein sollten, dachte sie: "Wenn ich kaufe, wie das Kind sich wünscht, dann könnte es vielleicht sein, dass er zu arbeiten anfängt! Und so kaufte sie dass Kleid und die Mütze in der Stadt. Darauf legte der Sohn dieses Kleid an und setzte die Mütze auf; er bemalte sein Gesicht, schlich sich heimlich zu dem reichen Haus im Osten, stieg auf den Hausaltar und hielt sich da verborgen. Als nun zur Zeit des Abendessens die Leute aus dem reichen Haus ihren Abendreis aßen, sprang er – plumps – herab. Die Leute aus dem Haus erschraken und fragten: "Wer in aller Welt bist du?" Der junge Mann verstellte seine Stimme und antwortete: "Ich bin der Schutzgott des Ortes. Seit in eurem Haus eine Tochter und im westlichen ein Sohn geboren wurden, hatte ich die Absicht, sie miteinander zu verbinden. Deshalb macht sie sogleich zu Mann und Frau! Wenn ihr sie nicht miteinander verheiratet, dann werde ich beide zu schwarzer Erde werden lassen!" Und während noch alle in Verwirrung waren, eilte er schnell fort. Da sie nicht daran zweifelten, das er in seinen Schrein zurückkehren werde, wenn er wirklich der Schutzgott des Hauses sei, beschlossen sie eilig nachzuforschen und schickten einen Diener hinterher. Der Sohn aber war da schon längst von dem Haus des Nachbarn in sein eigenes entflohen, und so fanden sie nicht heraus, wohin er sich gewandt hatte.
Im Haus des Reichen wartete man, bis die Nacht vergangen war, und schickte dann sofort Leute zum westlichen Haus. Wie der sogenannte Schutzgott befohlen hatte, sagten sie, dass man wünschte, die Tochter aus ihrem Haus zu geben. Da war die Mutter im westlichen Haus bestürzt und wies sie mit den Worten ab: "Das ist unmöglich. In dieses arme Haus die Tochter aus dem östlichen Haus so einfach aufzunehmen – das geht nicht!" Aber die vom östlichen Haus sagten: "Ihr könnt sie unbesorgt aufnehmen. Wie arm ihr auch sein mögt – wir bauen dann in gleicher Art wir unser Haus ein neues! Deshalb macht euch keine Sorgen!" Da sprach die Mutter: "Ja, wenn das so ist!", und freudig stimmte sie zu. Aus dem Haus des Reichen schickte nun sogleich Holzfäller und Zimmerleute und Maurer und ließ das westliche Haus mit viel Grün neu errichten und ausbessern; dann bereitete man eine prächtige Hochzeitsfeier. Der Sohn aber, der früher nur gegessen und geschlafen hatte, umarmte seine Mutter und rief: "Ach Mütterchen, nun habe ich meinen Plan ausgeführt!"

Vom Spatzen, der sich ein Bein
gebrochen hatte
(Japan)
Vor langer Zeit lebte einmal in irgendeinem Bergdorf ein gutherziges altes Mütterchen. Eines Tages kam vor ihren Garten ein Spatz, der sich ein Bein gebrochen hatte, und klagte bitterlich. Als die alte Frau dies bemerkte, wurde sie von großem Mitleid erfüllt; sie hob den Spatzen auf, setzte ihn in einen Bambuskorb, gab ihm das Futter, welches Spatzen gerne mögen, und pflegte ihn mit großer Liebe. In kurzer Zeit heilte auch die Wunde am Bein des Spatzen, und er konnte frei im Korb umherflattern. Die Alte freute sich und immer mehr wuchs ihr der Spatz ans Herz. Da hüpfte eines Tages der Spatz aus seinem Korb heraus und flog fort; da er aber gar nicht zurückkehrte, machte sich das Mütterchen Sorgen und forschte, wohin er geflogen sein könnte. Am nächsten Tag kam ein Spatz unter das Vordach, und laut seine fröhliche Stimme erhebend, zwitscherte er. Dem Mütterchen erschien das seltsam und sie öffnete das Tor; da verstreute er Melonenkerne im Hof.
Diese Kerne sammelte die alte Frau alle auf und säte sie auf dem rückwärtigen Feld aus. Da trieben wunderbare Schösslinge hervor, Blüten brachen auf, Früchte wuchsen heran und eine große Zahl stattlicher Kürbisse konnte geerntet werden. Die Alte freute sich sehr, und an einem sonnigen Platz unter dem Vordach hängte sie diese großen Kürbisse alle, etwa zehn Tage lang auf. Nach dieser Frist kam aus dem ersten Kürbis etwas von der Art polierten Reises Körnchen auf Körnchen herab geronnen. Sie hob ein Korn auf und kostete, da stellte es sich als köstlicher, polierter Reis heraus. Als sie daraufhin alle Kürbisse herabnahm und nachsah, war jeder einzelne voll von Reis. Voller Freude kochte das Mütterchen von diesem Reis sogleich eine Mahlzeit und aß: es schmeckte gut! Sie füllte davon in Schächtelchen und verteilte sie auch in der Nachbarschaft. Sie freute sich, dass jedem dieses Gericht schmeckte. Wieviel sie aber auch von dem Reis nahm – er wurde auch nicht ein bisschen weniger, und dadurch wurde das Mütterchen überaus wohlhabend.
In ihrer Nachbarschaft aber lebte ein habgieriges altes Weib. Als sie diese Geschichte vernahm, packte sie gewaltig der Neid und sie machte sich eigens auf, einen Spatzen zu fangen. Nachdem sie endlich einen gefangen hatte, brach sie ihm ein Bein und setzte ihn in einen Korb. Da sie ihm aber überhaupt kein Futter gab, litt der Spatz Not und flatterte mühselig im Korb umher. Rasch nahm die habgierige Alte den Deckel ab. Das Spätzlein stieß einen wehen Schrei aus und flog fort. Die Alte aber malte sich aus, wie der Spatz ihr am nächsten Tag irgendein Geschenk bringen würde. Am nächsten Tag nun kam der Spatz ans Fenstersims und zwitscherte. Als sie in großer Hast den Fensterladen öffnete, war er mit Kürbissamen gekommen und hatte ihn ausgestreut. Voller Freude darüber säte die habgierige Alte ihn, ohne etwas übrig zu lassen, auf ihrem Feld aus. Da trieben wunderbare Schösslinge hervor, Blüten brachen auf, Früchte wuchsen heran und eine große Zahl von Kürbissen gelangte zur Reife. Sie erntete sie und hängte sie alle unter dem Vordach auf. "Wenn doch nur schnell Reis heraus käme!" rief sie und betrachtete sie jeden Tag, doch es hatte nicht den Anschein, als würde jemals Reis herauskommen. Die habgierige Alte wurde sehr wütend; sie riss alle Kürbisse herunter und brach einen nach dem anderen auf. Da kamen aus den Kürbissen große Schlangen, Tausendfüßler, Hornissen und Echsen in Scharen hervor. Sie packten das alte Weib, schlangen sich um sie und bissen oder stachen sie; die Alte aber konnte gar nichts gegen sie tun und starb schließlich, wahnsinnig geworden.

